Das Mikrobiom der Erde

Das Mikrobiom der Erde ist deutlich vielfältiger als bisher gedacht. Durch diese Diversität spielen Bakterien, Pilze & Co. bei sehr vielen Prozessen auf der Erde eine wesentliche Rolle.

Praktisch die ganze Welt ist dicht besiedelt mit Mikroorganismen. Selbst in so lebensfeindlich scheinenden Regionen wie der Antarktis, der Atacamawüste oder in fossilem Grundwasser in mehreren Kilometern Tiefe sprießen Archaeen, Bakterien, Cyanobakterien, Pilze usw. Wie viele Arten das Mikrobiom der Erde umfasst, weiß niemand (die Zahl hängt auch davon ab, wie man eine Art definiert). Sicher ist jedenfalls, dass man die Vielfalt bisher deutlich unterschätzt hat. Mikroorganismen verfügen über immens viele Mechanismen, wie sie in verschiedenen Biotopen überleben können – man kennt bei Weitem nicht alle, auch deshalb, weil nur ein Bruchteil der Arten im Labor kultiviert werden kann. Durch genetische Untersuchungen werden laufend neue Arten entdeckt, vor allem im Boden. Aktuell finden sich in den Listen der Ökologen mehr als fünfeinhalb Millionen Arten, Forscher der Indiana University veröffentlichten diese Woche eine Hochrechnung, laut der es mehr als 100 Milliarden Mikroorganismenarten geben könnte (PNAS, 2. 5.).

Diese immense Vielfalt macht begreiflich, warum es fast keinen Fleck auf der Erde gibt, wo keine Mikroorganismen leben. Und daher darf es auch nicht verwundern, dass Bakterien & Co. in sehr vielen irdischen Prozessen eine Rolle spielen – in biologischen genauso wie in atmosphärischen oder geologischen.

Ein derzeit heißes Forschungsgebiet sind Biokrusten – das sind Gesellschaften von Mikroorganismen, die die obersten Millimeter von blankem Boden besiedeln. Bei der weltgrößten Geologie-Konferenz (EGU) Mitte April in Wien berichteten Forscher, wie solche Krusten das Antlitz der Erde verändern: Die Kleinstlebewesen halten die Bodenteilchen zusammen, speichern Wasser und Nährstoffe, nehmen am Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf teil – und können durch spezielle Farbstoffe sogar bewirken, dass die Bodentemperatur um bis zu zehn Grad steigt (Nature Communications, 20. 1.).

Solches Wissen über das Mikrobiom der Erde ist nicht nur wichtig, um ökologische Prozesse und die globalen Stoffkreisläufe besser verstehen zu können. Es liefert auch praktische Hinweise z. B. für die Bekämpfung der Wüstenbildung. Und es gibt überdies Einblicke in die Frühgeschichte des Lebens: Denn schon lang bevor Pflanzen und Tiere dem Meer entstiegen sind, haben Mikroorganismen das Land besiedelt und im wörtlichen Sinn den Boden bereitet, auf dem sich höhere Lebewesen, auch wir Menschen, entwickeln konnten.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 08.05.2016)

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