Eine Geschichte mit Folgen

Historiker schlagen ein weithin unbekanntes Kapitel der österreichischen Geschichte auf: die Entwicklung der Landwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Geschichte mit Folgen.

Die Gründerväter der Zweiten Republik wollten das Ende des Zweiten Weltkriegs als eine „Stunde null“ erscheinen lassen, von der weg ein ganz neuer Staat aufgebaut wurde. Dass dem in Wirklichkeit nicht so war, ist bekannt: In vielen Bereichen gab und gibt es eine Kontinuität aus der Zwischenkriegszeit über die NS-Zeit in die Nachkriegsära – etwa an Universitäten oder in der Religionspolitik.

Wenig bekannt ist, dass es auch in der Landwirtschaft kaum Brüche gab. Das „Tausendjährige Reich“ und seine Führer hätten nach sieben Jahren in der Ostmark zwar abgewirtschaftet gehabt – doch der agrarische Interventionsstaat sei nach 1945 fester im Sattel gesessen als vor 1938, betont Ernst Langthaler, Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raums (IGLR) in St. Pölten, der demnächst die Professur für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Uni Linz antritt. Am Montag, 23. Mai, präsentiert er an der Uni Wien (Fachbereichsbibliothek Geschichtswissenschaften, Stiege 8, 2. Stock, 18 Uhr) sein Buch „Schlachtfelder“, in dem er detailreich das „alltägliche Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft“, so der Untertitel, nachzeichnet (940 S., 90 €, Böhlau).

Das NS-Regime wollte die Landwirtschaft gemäß einem „völkischen Produktivismus“ umformen, so Langthaler. Sofort begonnen wurde mit der „Entjudung“ des Grundbesitzes – also der Enteignung, Vertreibung und Ermordung aller „Nicht-Arier“ – und der Neubildung eines „deutschen Bauerntums“. Parallel dazu sollte die Landwirtschaft mit Maschinen und Düngemittel produktiver gemacht werden – was in der Ersten Republik nicht gelungen war. Durch diese Technisierungswelle an den Bauernhöfen stieg die Produktivität bis zur Kriegswende 1941/42 deutlich an. Die damit angepeilte Agrarmodernisierung sei aber erst nach dem Krieg durchgezogen worden, so Langthaler.

Zudem wurde vom NS-Regime die Nahrungsmittelproduktion unter staatliche Lenkung gestellt – man bediente sich dazu auch der bestehenden Instrumente der Agrarpolitik (inklusive der Agrarverbände). Die „Durchstaatlichung“ der Landwirtschaft war in Österreich bereits Anfang der 1930er-Jahre eingeleitet worden – damals gedacht als temporäres Vehikel zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. In der NS-Zeit habe sich diese aber gefestigt und nach dem Ende des „Dritten Reichs“ nicht aufgelöst. Im Gegenteil: „Der agrarische Interventionsstaat war ,normal‘ geworden“, so Langthaler. Eine Denkhaltung, die bis heute wirkt.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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