Bilder der Planeten

Das Naturhistorische Museum zeigt derzeit Bilder der Planeten. Diese beeindrucken nicht nur wegen der faszinierenden Entdeckungen, sondern auch wegen ihrer faszinierenden Kraft.

Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis. Ein baum-hoher Gedanke greift sich den Lichtton: es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen.“ Dieser wunderbare, rätselhafte Satz von Paul Celan ist der Ausstellung Otherworlds vorangestellt, die diese Woche im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) eröffnet wurde. Gezeigt werden großformatige Bilder des US-Künstlers Michael Benson, die alle mit einem Thema zu tun haben: mit fremden Landschaften in unserem Sonnensystem. Benson hat unzählige Einzelaufnahmen von Satellitenkameras zusammengefügt. Er wollte dabei, so erzählte er bei der Eröffnung, die Bilder möglichst wenig verfremden und die Planeten, Monde und Kometen so zeigen, wie wir sie mit unseren Augen sehen würden, könnten wir dorthin fliegen.

Bensons Arbeiten faszinieren: Auf künstlerischer Ebene üben die Bilder mit ihren einmal abstrakten, einmal gegenständlichen Strukturen eine beinah magische Anziehungskraft aus. Auf wissenschaftlicher Ebene zeigen sie viele Details unserer Nachbarn im Weltall: etwa den Jupitermond Europa vor dem seit mindestens 350 Jahren auf dem Gasplaneten wütenden Sturmsystem namens „Roter Fleck“. Oder Schatten der Ringe auf der Oberfläche des Saturns (samt dem winzigen Mond Mimas, der gerade durch das Bild fliegt). Oder – das für mich faszinierendste Bild – einen CO2-Reif auf pittoresken Sanddünen auf dem Mars.

Von diesen seltsamen anderen Welten würden wir ohne moderne Technologie überhaupt nichts wissen: Erst seit wir Satelliten ins Weltall schießen – also erst seit knapp 60 Jahren –, können wir Details von den Planeten entdecken, die von der Erde aus nur als helle Scheiben erscheinen. Mit jeder neuen Mission gelangte man zu neuen Erkenntnissen, die stets sicher geglaubtes Wissen über den Haufen warfen. „Man sollte niemals mit vorgefassten Meinungen in den Weltraum fliegen“, kommentierte NHM-Generaldirektor Christian Köberl, seines Zeichens Professor für Impaktforschung und planetarische Geologie an der Uni Wien.

Man kann den Satz zwanglos auf die gesamte Wissenschaft erweitern: Je genauer man in die Natur hinein- oder hinausschaut, umso faszinierendere Phänomene tauchen auf. Wenn man schon wüsste, auf was man stoßen wird, brauchte man ja keine Wissenschaft zu betreiben. Und es wäre äußerst vermessen anzunehmen, dass unser heutiges Wissen schon die endgültige Weisheit oder gar Wahrheit darstellt. Man lese nach bei Paul Celan.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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