Wort der Woche

Österreich hat sich verpflichtet, den Anteil von erneuerbarer Energie stark zu steigern. Die Wissenschaft hat klare Wege aufgezeigt – die Politik hat das bisher weitestgehend ignoriert.

begriffe der WissenschaftAm Dienstag hat die Bundesregierung die Ratifizierung des im Dezember 2015 in Paris ausgehandelten Weltklimavertrags gestartet. Warum das so lang gedauert hat, ist kaum nachvollziehbar. Vielleicht liegt es daran, dass vielen nicht bewusst war (und wohl noch ist), was dieses Abkommen bedeutet: Bis 2050 wird ein fast kompletter Ausstieg aus fossiler Energie gefordert. Schon 2030 soll Österreichs Stromversorgung zur Gänze auf erneuerbaren Quellen ruhen – derzeit sind es gut zwei Drittel. Das ist definitiv eine Mammutaufgabe. Nicht zuletzt deshalb, weil die nötigen Maßnahmen mannigfaltige Folgen haben. So würde z. B. eine einseitige Forcierung von Biomasse zu einem starken Rückgang der Biodiversität in den Wäldern führen, haben Forscher des IIASA in Laxenburg kürzlich herausgearbeitet.

Solche Zielkonflikte wird man bewältigen müssen. In Österreich soll das eine „integrierte Energie- und Klimastrategie“ leisten – vor zwei Wochen wurde dazu ein „Grünbuch“ veröffentlicht, das die Fakten außer Streit stellen soll. Den nun beginnenden Debatten ist mehr Erfolg zu wünschen als den existierenden Klima- und Energiestrategien, die sich als ziemliche Rohrkrepierer erwiesen haben.

In welche Richtung die Reise gehen könnte, hat die Wissenschaft in jüngster Zeit klar aufgezeigt. So wird in der diese Woche vorgestellten „Technologie-Roadmap für Photovoltaik“ nachgewiesen, dass die Potenziale von Solarstrom bisher völlig unterschätzt wurden. Die Kosten sind laut Hubert Fechner (FH Technikum Wien) seit 2006 um mehr als zwei Drittel gesunken. Bis 2050 könnte ein Viertel des österreichischen Strombedarfs von der Sonne kommen (derzeit zwei Prozent) – wenn die vielen administrativen Hürden aus dem Weg geräumt würden. Inwieweit solche Erkenntnisse in das neue Ökostromgesetz einfließen werden, wird man sehen.

In der Praxis kommt man jedenfalls nicht voran, wie zwei ebenfalls diese Woche veröffentlichte Studien belegen: 2015 wurden – ähnlich wie 2014 – deutlich weniger Ökoenergieanlagen neu installiert als zuvor. Zudem stagnieren die öffentlichen Investitionen in die Energieforschung; bei erneuerbaren Energieträgern sind sie sogar stark rückläufig.

Früher rühmte sich Österreich, ein Öko-Vorreiter zu sein. Das ist offensichtlich lang vorbei. Trotz klarer Aussagen der Wissenschaft machte die Politik bisher kaum Anstalten, diese entschlossen umzusetzen. Irgendwann wird es ein böses Erwachen geben.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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