Klimawandel-Refugien

Forscher schlagen die Einrichtung von Klimawandel-Refugien vor, in denen bedrohte Pflanzen- und Tierarten die heißen Zeiten überdauern können. Eine interessante Idee.

Seit der Vorwoche ist es quasi amtlich: Die American Meteorological Society bestätigte, dass 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war: Die weltweiten Durchschnittstemperaturen von Land und Meeren lagen auf Rekordniveau (um 0,44 bzw. 0,36 Grad über dem Mittelwert der vergangenen drei Jahrzehnte); der Meeresspiegel sei binnen 20 Jahren um sieben Zentimeter gestiegen. Laut Nasa wird 2016 noch wärmer, denn jedes einzelne der ersten sechs Monate war im globalen Durchschnitt das wärmste seit 135 Jahren. Noch ist nicht klar, welchen Anteil der Treibhauseffekt und der diesmal ungewöhnlich starke El Niño daran haben – das werden erst zukünftige Analysen zeigen.

Faktum ist jedenfalls, dass es so warm ist wie seit vielen Generationen nicht mehr. Das hat Folgen – positive und negative. Wir Menschen haben viele Mittel in der Hand, die Konsequenzen für uns zu steuern. Die Natur ist dem Klima aber ausgeliefert. So weiß man, dass viele Pflanzen- und Tierarten der Erwärmung nicht so schnell folgen können – und selbst wenn sie rasch genug in kühlere Lebensräume wandern könnten, ist dort kein Platz für sie, weil der Mensch diese für seine Zwecke umgestaltet hat. Die Grenzen heutiger Nationalparks etc. können mit den sich verschiebenden Klimazonen kaum mitwandern – das ist in keiner der vielen Klimawandelanpassungsstrategien vorgesehen.

US-Forscher um Toni Lyn Morelli haben nun eine neue Idee ausgearbeitet: Man könnte Klimawandel-Refugien etablieren, in denen die Erwärmung langsamer verläuft – etwa Nordhänge, alpine Kaltluftseen, bei kühlen Grundwasserströmen oder großen Gewässern („PlosOne“, 10. 8.). Der Grundgedanke dafür kommt aus der Naturgeschichte: Viele Pflanzen- und Tierarten haben die Eiszeiten in Rückzugsgebieten mit günstigeren Bedingungen überstanden und von dort aus die eisfrei werdenden Gebiete wiederbesiedelt. Das könnte auch mit umgekehrten Vorzeichen funktionieren, meint Morelli. Sie schlägt vor, lokal nach Refugien mit kühlerem Mikroklima zu suchen und diese durch ein geeignetes Management (Naturschutzkonzepte, gezielte Bepflanzung, strikte Bekämpfung von Waldbränden etc.) für die bedrohten Arten attraktiv zu machen. Das geht nicht von heute auf morgen, es muss von langer Hand geplant werden.

Die Forscher schränken zwar ein, dass die Refugien „nicht notwendigerweise eine langfristige Lösung“ seien. Eine bedenkenswerte Idee, um bedrohten Arten zu helfen, sind sie aber allemal.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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