Ethik des Datensammelns

Eine Wiener Ökonomin hat eine Ethik des Datensammelns verfasst. Ihre Analyse des Status quo brachte ein vernichtendes Ergebnis.

Ich bekenne: Ich nutze Google, Facebook und Co. ausgiebig – und mir ist bewusst, dass die Firmen mit den gesammelten Informationen über mich und mein Verhalten viel Geld verdienen. Ich habe akzeptiert, dass mir Werbung für Produkte aufgedrängt wird, von denen irgendwer glaubt, dass sie zu mir passen. Stutzig macht mich, dass aus den Daten meine Gefühlslage eruiert werden kann (u. a. aus dem Tempo des Tastenanschlags auf der Tastatur), oder dass manche Firmen aus dem persönlichen Profil einen individuellen Preis für ihr Produkt berechnen („personalized pricing“): Man zahlt bisweilen mehr, wenn man aus einer besseren Gegend kommt oder einen Computer mit Apfel-Symbol benutzt. Richtig zornig werde ich, wenn mithilfe gesammelter Daten über Versicherungen, Kredite oder Jobs entschieden wird.

Irgendetwas im tiefsten Inneren sagt uns, dass das absolut nicht in Ordnung ist. Aber was? Und warum? Die Ökonomin Sarah Spiekermann (WU Wien) versuchte eine Antwort: In der gemeinsam mit dem Netzaktivisten Wolfie Christl erstellten Studie „Networks of Control“ (Facultas) unterzog sie die Sammelwut der Datenkonzerne einer ethischen Bewertung. Das Ergebnis ist vernichtend.

Eine utilitaristische Analyse ergab, dass der Nutzen für den Konsumenten in keinem Verhältnis zu der einseitigen Verteilung der Gewinne und der Informations- und Machtasymmetrie zugunsten der Datensammler steht. Aus der Perspektive einer Pflichtethik ist das Ergebnis um nichts besser: Da dem Konsumenten keine freie und autonome Entscheidung gelassen werde, ob er dem Datensammeln zustimmt (ohne dass er gleich den Zugang zu den Systemen verliert), ist Kants kategorischer Imperativ in jeglicher Hinsicht verletzt. Negativ endet weiters ein Blick durch die Brille der Tugendethik: Hier schlägt v. a. durch, dass ein „Exit“ aus den Systemen kaum möglich ist und man sich in der Folge genötigt fühlt, sich selbst zu kommerzialisieren.

Spiekermanns Sukkus: Nur wenn niemand gezwungen würde, seine Daten herzugeben, wenn Konsumenten ihre Zustimmung dazu jederzeit ohne negative Konsequenzen zurückziehen könnten und wenn volle Transparenz über die gesammelten Daten und die daraus gezogenen Schlüsse herrschen würde, könnten die Datensammler „ein wenig ethische Legitimität“ erhalten.

Diese Analyse ändert zwar nichts am Zorn über den Datenmissbrauch. Aber nun weiß ich wenigsten, worüber ich mich wirklich ärgern kann. Und wo wir Konsumenten mit unserer Macht ansetzen können und müssen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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