Nachdenken über absurde Ideen

Sei es die Ausstrahlung von Menschen, Dunkle Energie oder Schutzengel: Viele Ideen wirken völlig absurd. Man darf und kann trotzdem über sie nachdenken.

Wie erwartet gab es auf meine Kolumne vom vorigen Sonntag viele Reaktionen – vor allem Kritik, dass ich mich mit dem Thema Mondphasenholz, das in den Augen vieler Leser längst als Scharlatanerie entlarvt sei, überhaupt beschäftige. Ich glaube auch nicht daran, dass Mondholz besondere Eigenschaften hat. Der Punkt ist aber, dass sich niemand anmaßen sollte, im Besitz der absoluten Weisheit und Wahrheit zu sein.

Diese Ansicht ist kein Ausdruck der postfaktischen Gesellschaft, in der wir offenbar leben – in der man alles behaupten darf und nichts beweisen muss. Sondern sie folgt einer wissenschaftlichen Redlichkeit: Im naturwissenschaftlichen Weltbild ist jede Erkenntnis eine Hypothese, die so lang gültig ist, bis sie widerlegt wurde. Dieser Mechanismus ist Teil des Fortschritts in der Wissenschaft.

Neue Hypothesen können verstörend sein. Man denke etwa an die Quantentheorie mit ihren absurd wirkenden Konsequenzen, die bis dato aber nicht widerlegt werden konnten und in technischen Anwendungen funktionieren. Oder an Dunkle Materie und Dunkle Energie, die laut gängiger Astrophysik den Großteil des Universums ausmachen, bisher aber nicht gefunden werden konnten.

Ein äußerst verstörendes Beispiel liefert das neue Buch des Wiener Fortpflanzungsmediziners Johannes Huber „Es existiert. Die Wissenschaft entdeckt das Unsichtbare“ (207 Seiten, 21,90 Euro, edition a). Das Buch ist ein – schlecht redigiertes – Sammelsurium von neuen Erkenntnissen (etwa epigenetischen Prägungen), unbelegten Vermutungen (etwa, dass das Herz eine mehrere Meter reichende elektromagnetische Strahlung aussende – die Ausstrahlung des Menschen) sowie fantastischen Hypothesen. Zum Beispiel jene, dass man an die Existenz von Schutzengeln glauben dürfe. Huber zieht eine fragwürdige Analogie zwischen Lichtquanten und Engeln: Beide seien immaterielle, stofflose Wesen, nicht festzuhalten, zeitlos. Das sei kein Beweis – aber es sei intellektuell redlich, Engel für möglich zu halten, meint Huber.

Der Glaube an Engel widerspricht so ziemlich allem, was die Naturwissenschaft über die Welt aussagt. Aber solange eine Idee nicht hieb- und stichfest widerlegt ist, muss man sie denken dürfen. Um wie in der Vorwoche noch einmal den US-Philosophen Thomas Nagel zu zitieren: „Ich würde darauf wetten wollen, dass der gegenwärtige Konsens, was zu denken richtig ist, in einer oder zwei Generationen lachhaft wirken wird.“

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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