Wort der Woche

Die Zeit der Reformation

Die Zeit der Reformation ist in unserem historischen Bewusstsein ziemlich unterbelichtet. Das sollte sich nun ändern.

Kennen Sie Paul Speratus? Der ehemalige Salzburger Priester war 1522 – mit seiner Partnerin – auf der Durchreise in Wien und hielt am 12. Jänner im Stephansdom die erste reformatorische Predigt der Stadt (acht Tage später war er exkommuniziert). Nur den wenigsten wird wohl auch der Name Caspar Tauber etwas sagen: Dieser angesehene Wiener Bürger war wahrscheinlich der erste, der hierzulande für seine Lutherischen Überzeugungen starb – er wurde am 17. September 1524 enthauptet und verbrannt.

Dass Sie von diesen beiden Persönlichkeiten höchstwahrscheinlich noch nie etwas gehört haben – mir ging es jedenfalls so –, ist ein klares Zeichen, dass unser historisches Wissen recht lückenhaft ist. Wir kennen zwar viele Geschichten rund um Franz Joseph I. und Sisi, haben eine Ahnung von den Türkenkriegen, vom „letzten Ritter“ Maximilian I. und von Maria Theresia (s. S. 46). Doch so manche Epoche ist ziemlich ausgeblendet. Eine davon ist die Erste Republik, eine andere die Reformationszeit – oder wissen Sie viel über Kaiser Maximilian II.?

Dabei zeigt ein Blick in die Bücherflut, die nun zum Lutherjahr erscheint – am 31. Oktober jährt sich ja der sagenumwobene Anschlag der 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirchentür zum 500. Mal –, wie lohnend die Beschäftigung mit dieser Epoche ist. Neben einigen wunderbaren Biografien Martin Luthers und seiner Mitstreiter in ganz Europa (z. B. „Europa reformata“; Evangel. Verlagsanstalt) ragen – subjektiv – zwei Bände heraus. Zum einen seziert der schottische Historiker Andrew Pettegree in „Die Marke Luther“ (Insel Verlag), wie der Reformator durch gezielte Maßnahmen, etwa das Layout der Titelseiten seiner Schriften oder sein „Networking“, eine Markenidentität aufgebaut hat. Zum anderen untersucht der Fribourger Historiker Volker Reinhardt in „Luther der Ketzer“ (C. H. Beck) die Reformation als Wechselspiel zwischen Rom und Deutschland; es ging dabei nicht nur um unvereinbare theologische Lehrsätze, sondern auch um Geld- und Machtinteressen von Netzwerken nördlich und südlich der Alpen – und um einen „Clash of Cultures“. Hier werden viele spannende Geschichten erzählt, die überdies klare Querbezüge zur Gegenwart aufweisen – z. B. die Selbstinszenierung von Politikern oder Spannungen zwischen Nord- und Südeuropa.

Ebenso lohnend wird hoffentlich die ab Donnerstag im Wien Museum laufende Ausstellung „Brennen für den Glauben. Wien nach Luther“ – als Chance, eine der klaffenden Lücken in unserem historischen Bewusstsein zu schließen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2017)

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