Wort der Woche

Staudämme

Durch Staudämme hat der Mensch die Welt viel stärker verändert, als man auf den ersten Blick annehmen würde.

Vor 5000 Jahren hat der Mensch begonnen, Wasser mithilfe von Dämmen aufzustauen. Aus der Römerzeit beispielsweise ist in Syrien der Stausee von Homs erhalten, bei dem eine zwei Kilometer lange und sieben Meter hohe Mauer aus Beton mit Basaltverkleidung 90 Mio. Kubikmeter zurückhält. Errichtet (und bis heute dafür genutzt) wurde die Anlage für die Bewässerung von Agrarflächen. In Mitteleuropa baut man seit dem Mittelalter Dämme – etwa zum Anlegen von Teichen oder um mit Wasserrädern Energie zu gewinnen. Immer wichtiger wurden Staudämme schließlich auch für die Versorgung der wachsenden Städte mit Trinkwasser und für die Erzeugung von elektrischem Strom. Staudämme haben viele Fortschritte ermöglicht, ohne sie würde unser Leben anders aussehen.

Weltweit gibt es heute mehr als 50.000 große Staudämme, die rund eine halbe Mio. Quadratkilometer Land überfluten (das entspricht der Fläche Spaniens). Das bleibt nicht ohne Folgen. So verdunstet aus den riesigen Stauseen sehr viel Wasser, das ohne Dämme größtenteils in den Flüssen verbleiben würde: Laut vorsichtigen Schätzungen ist die Verdunstung aus Stauseen größer als der weltweite Wasserverbrauch durch Industrie und Haushalte. Die Dämme halten weiters rund ein Drittel aller Flusssedimente zurück – die dann fehlen: Flussdeltas sinken ab, viele Strände werden immer kleiner (sofern nicht künstlich per Lkw Sand nachgefüllt wird). Zudem unterbinden Dämme Fischwanderungen, die Fischflora bei Wien z. B. hat sich dadurch massiv verändert. Überdies wird stark in den Kohlenstoffhaushalt der Erde eingegriffen: In Staubecken wird ein Fünftel der Kohlenstofffracht, die sonst flussabwärts gespült würde, zurückgehalten. Welche Folgen das für das Weltklima hat, weiß man derzeit nicht genau.

Aus all diesen Gründen betrachten manche Umweltgruppen die Wasserkraft längst nicht mehr als umweltschonende „grüne“ Energieform.

Und nun gerät noch ein weiteres Dogma von Staudamm-Befürwortern ins Wanken: dass Stauseen nämlich entscheidend für die Wasserversorgung der Menschheit seien. Forscher um Ted Veldkamp, der zur Zeit am IIASA in Laxenburg arbeitet, haben berechnet, dass zwar 20 Prozent der Weltbevölkerung durch das höhere Wasserangebot aus Stauseen profitieren, dass aber gleichzeitig 23 Prozent der Bevölkerung flussabwärts weniger Wasser haben (Nature Communications, 15. 6.).

Es ist wohl wirklich an der Zeit, den Bau großer Staudämme zu überdenken.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.