Pflanzen

Themenbild: Pflanzen
Themenbild: Pflanzen(c) Clemens Fabry
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Immer klarer wird, dass auch Pflanzen über erstaunliche Sinnesleistungen verfügen. Das wirft auch neue Fragen auf - wie etwa: Leiden Pflanzen, wenn sie gefressen werden?

Pflanzen sind alles andere als empfindungslos vor sich hin vegetierende „Bioautomaten“. Sie haben vielmehr all ihre Sinne beisammen: Sie verfügen über elf verschiedene Typen von Lichtrezeptoren; sie können Luftvibrationen (sprich: Schall) wahrnehmen; sie spüren, wenn Schädlinge auf ihnen herumtrampeln; sie schmecken den Speichel von Fraßfeinden, die an ihnen knabbern; und sie riechen, wenn sich Feinde oder Artgenossen in ihrer Umgebung ausbreiten. Man weiß das aufgrund ihrer physiologischen Reaktionen – etwa, wenn sie in Richtung des Lichtes wachsen, ihre Ranken zielsicher um feste Gegenstände winden oder ihr chemisches Arsenal zur Schädlingsabwehr aktivieren.

Gerade die chemischen Sinne sind sehr gut ausgeprägt: Limabohnen z. B. bilden bei einem Angriff gefräßiger Insekten neben Abwehrstoffen auch Duftstoffe, die Feinde ihrer Fraßschädlinge anlocken und Pflanzen in der Nachbarschaft auf die Gefahr aufmerksam machen. Manche Gewächse können sogar Schadinsekten riechen, noch bevor diese ihr Zerstörungswerk beginnen: Ein Forscherteam um Mark Mescher (ETH Zürich) hat herausgefunden, dass Goldruten die Anwesenheit von Gallfliegen auf einen Meter Entfernung riechen können – und zwar anhand der Substanz Conophthorin, einem Hauptbestandteil der Ausdünstung der männlichen Insekten, mit der sie Weibchen anlocken (Nature Communications, 24. 8.).

Pflanzen reagieren auf Reize jedenfalls anders als Tiere, uns fällt es daher schwer, die „Sprache“ der Pflanzen zu verstehen (auch wenn Esoteriker behaupten, einen Draht zu Bäumen etc. zu haben).

Durch die vielen neuen Erkenntnisse drängen sich neue Fragen auf. Schmerzt es Pflanzen, wenn sie von Schädlingen gefressen werden? Oder leiden sie, wenn wir sie ernten und in den Kochtopf werfen? Die Beantwortung solcher Fragen (die auch für ethisch motivierte Vegetarier nicht uninteressant sind) ist derzeit unmöglich. So ist etwa ungeklärt, ob Pflanzen ein übergeordnetes System zur Informationsverarbeitung besitzen – wie es Vertreter der „Pflanzeneurobiologie“ postulieren – oder ob sie noch über andere, uns unbekannte Sinne verfügen.

Tiere wurden früher als eine Art Automaten angesehen, die zwar auf ihre Umgebung reagieren, denen aber kein geistiges Innenleben zugestanden wurde. Dieses Bild hat sich stark gewandelt: Heute werden Tieren Gefühle, höhere kognitive Fähigkeiten und sogar eine Art Bewusstsein zugesprochen.

Müssen wir auch bei Pflanzen umdenken?


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2017)

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