Zukunftshoffnung Stammzellen

Stammzellen gelten als die größte Zukunftshoffnung der Medizin. Der anfänglichen Euphorie ist nun Realismus gefolgt: Rasche Fortschritte bei Therapien sind Mangelware.

In der Frühzeit der Stammzellenforschung war die Euphorie riesig: Anfang der 1980er-Jahre ist es Forschern gelungen, die Entwicklung embryonaler Stammzellen zu steuern. Aus den Stammzellen können im Laufe der Zellentwicklung unterschiedlichste Körperzellen werden – etwa Haut, Leber, Blutkörperchen oder Nervenzellen. Für die Medizin birgt das eine Chance: Bringt man Stammzellen in geschädigtes Gewebe ein, so wächst dieses einfach nach. Viele Forscher haben damals Vorhersagen gewagt, dass in fünf bis zehn Jahren die Regeneration ganzer Organe möglich sein werde. In Einzelfällen ist auch einiges gelungen – etwa in der Knochenmarktransplantation bei Leukämie. Doch für die meisten Anwendungsgebiete sind Therapien in weiter Ferne.

Zwei Jahrzehnte lang standen embryonale Stammzellen im Fokus. Diese sind „pluripotent“, aus ihnen können alle Zelltypen des Körpers entstehen. Das Problem: Bei ihrer Gewinnung werden Embryonen zerstört. Dieses ethische Problem hat die Forschung behindert, Alternativen wurden wichtiger. Vor rund zehn Jahren rückten „adulte Stammzellen“ ins Zentrum. Diese sind in vielen Organen enthalten und sorgen dort für die Regeneration. Bei einer Therapie werden dem Patienten Stammzellen entnommen, im Labor vermehrt und dann in die Zielregion des Körpers zurückgeführt.

Der größte Vorteil: Es handelt sich um körpereigene Zellen, es gibt daher keine Abstoßungsreaktionen. Die Sache hat aber einen Haken: Adulte Stammzellen altern, ihre Fortpflanzungsfähigkeit sinkt. Erklärt wird das unter anderem durch eine Verkürzung der Chromosomen („Telomere“) bei jeder Zellteilung – diese Entdeckung wurde 2009 mit dem Nobelpreis gewürdigt. Forscher der Medizin-Uni Graz um Dirk Strunk haben nun weitere Mechanismen gefunden: Gene, die für Teilung und Wachstum notwendig sind, werden mit der Zeit weniger aktiv, Gene, die für Zelldifferenzierung und Zelltod verantwortlich sind, werden dagegen aktiver. Diese Veränderungen treten nach 30 bis 40 Generationen auf. Nach dreißig Zellteilungen sind aus einer Zelle rund eine Milliarde Zellen geworden. Diese Entdeckung entmutigt, sie hat aber auch eine positive Seite: Durch die Identifizierung der Gene lassen sich nun Tests entwickeln, mit denen die Tauglichkeit der Zellen überprüft werden kann.

Neben diesen Forschungsrichtungen haben sich auch weitere Gebiete etabliert. Etwa die „Umprogrammierung“ von Zellen („induzierte pluripotente Stammzellen“, IPS) oder Stammzellen aus dem Fruchtwasser. Die wissenschaftlichen Fortschritte sind überall groß – doch Vorhersagen, wann die Methoden für die medizinische Praxis reif sind, traut sich derzeit niemand mehr zu machen.

martin.kugler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2010)

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