Optimierung

Die künstliche Optimierung des Körpers löst bei vielen Menschen arge Befürchtungen aus. Die Sorgen sind aber deutlich größer als die derzeitigen technischen Möglichkeiten.

Der menschliche Körper ist ein wahres Wunderwerk: Die unheimliche Ordnung, die exakt aufeinander abgestimmten Funktionen und die Ästhetik fordern tiefste Bewunderung. Wie fasziniert die Menschen auch früher von der eigenen Anatomie waren, davon zeugt eine viel zu wenig beachtete Sehenswürdigkeit Wiens: die Sammlung von 1192 anatomischen Wachspräparaten im Josephinum (9., Währinger Straße 25). Aus der Tradition der Wachsbildnerei und den Fortschritten der Anatomie heraus entstanden in Bologna und Florenz im 18.Jahrhundert großartige anatomische Sammlungen. Kaiser Joseph II. wollte so etwas auch in Wien haben. Genauer: für die „Medizinisch-Chirurgische Josephs-Akademie“, die er 1785 gegründet hatte, um die Militärchirurgie von der Kurpfuscherei zu einer Wissenschaft auf der Höhe der Zeit zu erheben.

Ein großer Teil der Sammlung ist bis heute erhalten (und kann Mo–Sa, 10–18 Uhr besichtigt werden). In unzähligen Vitrinen – vor allem an 16 enthäuteten Ganzkörper-Figuren – ist dargestellt, wie wunderbar unser Körper ist. Dennoch gibt es Bestrebungen, diesen zu verbessern, ihn zu optimieren. Diese Tendenzen nehmen in letzter Zeit überhand – Stichworte: Anti-Aging, Schönheitschirurgie oder „Neuro-Enhancement“ (Verbesserung der Denkleistung durch Chemie oder Elektronik).

Doch im Grunde sei dieses Bestreben der Optimierung nichts Neues. Das war die Quintessenz des hochrangig besetzten „Ernst Mach Forums“, zu dem die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) diese Woche geladen hatte. Körper und Geist möglichst zu perfektionieren, hatte z.B. schon Immanuel Kant von jedem Einzelnen gefordert.

Eines ist aber anders als früher: Die technischen Möglichkeiten sind heute ungleich größer. Allerdings sind die weitverbreiteten Befürchtungen schädlicher Nebenwirkungen nicht immer berechtigt. „Die Optimierung des Körpers ist weitgehend noch Fiktion“, sagte etwa Willy Viehöfer (Uni Augsburg). So gebe es bisher kein echtes Anti-Aging-Mittel. „Man kann auch das Gehirn nicht komplett optimieren“, ergänzte der Magdeburger Neurobiologe Henning Scheich. Warum dennoch die Debatte so „obsessiv“ geführt werde, ist ein Rätsel. „Bei einem Pianisten tadelt niemand, dass er immer besser werden will. Sobald man die Frage aber abstrakt stellt, klingen kritische Töne an“, so der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel.

Fazit der Debatte: Man solle den technischen Fortschritt nicht verteufeln – aber die Methoden und das zugrunde liegende Menschenbild kritisch hinterfragen. Und man müsse wachsam sein, damit kein Missbrauch getrieben werde.

martin.kugler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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