Macht eine Silber- oder eine Bronzemedaille glücklicher?

Nicht immer freut sich, wer nahe am besten Ergebnis liegt. Denn dass sich Menschen immer mit anderen vergleichen, macht mitunter unzufrieden.

Die Skisaison hat begonnen, Woche für Woche strahlen uns die Besten ihrer Disziplin vom Podest entgegen. „Eigentlich möchte man meinen, dass der zweite Platz glücklicher macht als der dritte“, sagt Sozialpsychologin Katja Corcoran von der Uni Graz. Tatsächlich freut sich aber nicht immer mehr, wer näher am Besten liegt.

Das haben schon Experimente Mitte der 1990er-Jahre gezeigt. Damals baten die US-Forscher Medvec, Madey und Gilovich 20 Studenten, Bilder von Siegerehrungen bei der Sommer-Olympiade 1992 in Barcelona zu beurteilen. Die zehnstufige Skala reichte vom Eindruck des qualvollen Kampfes bis zur ekstatischen Freude. Das überraschende Ergebnis: Die Befragten nahmen die Drittplatzierten als deutlich glücklicher wahr als die Zweitplatzierten. Sie strahlten deutlich mehr positive Emotionen aus.

Zweiter ist nur „fast Erster“

Warum wirken die Athleten mit dem besseren Ergebnis nicht glücklicher? Dabei wirkten soziale Auf- und Abwärtsvergleiche, so die Psychologin: „Jemand, der eine Silbermedaille bekommt, ist fast Erster geworden, hat den Sieg also knapp verpasst. Jemand, der eine Bronzemedaille gewinnt, freut sich, dass er es gerade noch aufs Treppchen geschafft hat.“ Er nimmt also weniger als mehr wahr.

Corcoran befasst sich in ihrer Forschungsarbeit mit sozialen Vergleichsprozessen, die Selbsteinschätzung, Motive, Gefühle und Verhalten beeinflussen: „Wir alle nutzen Vergleiche, weil wir selten eine absolute Einschätzung über uns selbst haben. Wir setzen in Relation, was wir besser und was wir schlechter finden.“

Wovon hängt es ab, ob man sich im Vergleich besser oder schlechter einschätzt? Um das herauszufinden, ließ Corcoran Probanden Personen in Bezug auf ihre Sportlichkeit beurteilen. Sie wählte dazu prominente Köpfe: Der Papst wurde als Beispiel einer extrem unsportlichen Person gezeigt, Bill Clinton als eher unsportlich. Niki Lauda stand für den eher sportlichen Typ, der US-Basketballer Michael Jordan symbolisierte den idealen Athleten. Zusätzlich wurden die Probanden gebeten, ihre eigene Sportlichkeit einzuschätzen: Wie viele Sit-ups schaffen Sie? Wie schnell laufen Sie 100 Meter?

Das Resultat waren zwei unterschiedliche Effekte: Verglichen sich die Probanden mit eher unsportlichen oder eher sportlichen Menschen, tendierten sie dazu, sich jeweils auch als eher unsportlich oder eher sportlich einzuschätzen. Sie näherten sich in ihrem Selbstbild also der betrachteten Person an. Wer fand, dass er der abgebildeten Person in seinem Verhalten ähnelt, suchte nach Informationen, die dies bestätigen.

Der Vergleichsfilter von Personen, die sich von den Abgebildeten stark unterschieden, wirkte genau umgekehrt. Sie suchten Informationen, die die Unterschiede bestätigen: Sie distanzierten sich, wenn sie jemanden als sehr unsportlich oder sehr sportlich wahrnahmen. Wurde eine extrem unsportliche Person gezeigt, neigte man dazu, sich sportlicher zu fühlen, als man eigentlich war. Bei einer sehr sportlichen Person wiederum fühlte man sich deutlich unsportlicher.

Wie lässt sich das positiv nutzen? „Ein Silbermedaillist sollte sich eher über Gemeinsamkeiten als über Unterschiede zum Goldmedaillegewinner definieren“, rät Corcoran. „Wenn er sich sagt: Ich trainiere genauso hart, ich kann das schaffen, motiviert das.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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