Verändern Videos im Alltag das Selbstbild von Kindern?

Fast jeder Schritt von Kindern wird mit dem Handy gefilmt: Macht sie das Betrachten der Videos vielleicht eitel oder medienbewusst?

Fast bei jedem Anlass zücken heute Eltern das Smartphone, um ihre Gschrappen zu filmen: Beim ersten Gehversuch, beim Katzenfüttern, bei Spielen mit dem Onkel, beim Ringelspiel und auch unter dem Christbaum wurde heuer sicher mehr gefilmt als je zuvor.

Schon Zweijährige laufen sofort nach dem Abfilmen zum Handybesitzer (meist Mutter oder Vater) und wollen das Video sehen. Hunderte Male schauen sie zu, wie sie laufen, spielen und Blödsinn machen. Was passiert in den Gehirnen der Kinder durch dieses permanente „Medientraining“, verglichen damit, wie es vor dreißig Jahren war? Die einzige Möglichkeit, sich selbst live, in Farbe und in Echtzeit zu betrachten, war wohl der Spiegel. Nur gut situierte Familien konnten sich Videokameras leisten, sodass die Kinder bewegte Bilder ihres Tuns immer wieder betrachten konnten. „Ich habe mit der Problematik vor allem im Rahmen von Elternberatungen zu tun“, sagt Brigitte Rollett, emeritierte Professorin am Arbeitsbereich Entwicklungspsychologie der Uni Wien.

„Die Selbstdarstellung und die Freude daran, sich medial und auch sonst zu präsentieren, hat in der jungen Generation sehr stark zugenommen“, so Rollett. Wahrscheinlich haben daher Kinder von heute weniger Scheu, sich selbst auf Tonband zu hören oder auf Videos zu sehen, als es Generationen davor taten. „Nach meinem Eindruck ist es noch zu früh, von allgemein zu beobachtenden Auswirkungen zu sprechen“, betont die Entwicklungspsychologin.

Auch Karin Landerl vom Institut für Psychologie der Uni Graz erklärt: „Der frühe Umgang mit Videoaufnahmen ist eine relativ neue Entwicklung. Mir sind dazu keine spezifischen empirischen Studien bekannt.“ Vermutet wird eine größere Selbstverständlichkeit der Kinder und Jugendlichen mit Videoaufnahmen von sich selbst.

„Eine kritischere Perspektive könnte auch sein, dass Jugendliche in ihrer Selbstwahrnehmung wohl zunehmend kritischer werden. Dies lassen gesteigerte Fitnessaktivitäten bei vielen Jugendlichen und die Zunahme von Essstörungen, besonders bei Mädchen, vermuten“, sagt Landerl.

Der tägliche Griff zum Smartphone der Eltern ist für Kinder selbstverständlich. Aber werden die Kinder selbst geübter im Umgang mit Medien? Brigitte Rollett erzählt vom Problem der Überwachung durch den ständigen Handy-Kontakt zu den Eltern: „Probleme entstehen in der Schule, da die Handynutzung und damit die Überwachung den Unterricht stören. Jüngere Kinder scheinen die elterliche Überwachung noch eher zu akzeptieren, die Proteste und damit zusammenhängende Konflikte mit den Eltern beginnen im Jugendalter zu eskalieren.“ Sie verweist auf die Shell-Studie, die seit 1953 in Deutschland das Selbstbild der jeweils jungen Generation statistisch erhebt. Die Daten von 2015 zeigen, dass das Internet immer wichtiger für die Zwölf- bis 25-Jährigen wird: 99 Prozent haben Zugang dazu und verbringen im Schnitt 18 Stunden pro Woche im Internet.

Die meisten mit mehr als zwei Geräten (Smartphone, Tablet, PC etc.). Jüngere, vor allem männliche Jugendliche sind „Medienfreaks“ (27 Prozent), die Computerspiele und Videos überdurchschnittlich nutzen. Aber nur zwölf Prozent fallen in die Gruppe der „interaktiven Selbstdarsteller“, die stark die Möglichkeiten der Sozialen Netzwerke nutzen und ihre Videos und Fotos mit anderen teilen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2016)

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