Was passiert mit der Umwelt, wenn sich jeder vegan ernährt?

Nie mehr Wiener Schnitzel? Würden alle Menschen vegan leben, gäbe es nicht nur weniger Tier-, sondern auch weniger Pflanzenarten.

FORSCHUNGSFRAGE

Auch wenn bei uns immer mehr Menschen ihren Speiseplan vegan, das heißt ohne tierische Lebensmittel, gestalten, ist dieses Szenario eher unwahrscheinlich. „Bewohner aus Industrieländern können beim Einkaufen von Lebensmitteln auswählen“, sagt Agrarwissenschaftler Martin Gierus von der Boku Wien. Das geht in wenig entwickelten oder unwirtlichen Regionen nicht. In der Wüste etwa gibt es keinen Ackerbau, Kamele liefern hier Fleisch und Milch.

Was würde passieren, wenn wir keine Nutztiere wie Kühe, Schweine oder Schafe mehr brauchen? „Ihre Zahl würde sich wohl sukzessive reduzieren“, mutmaßt Gierus, der sich auf das Gedankenspiel unserer Leserin einlässt. Er erforscht an seinem Institut nicht nur Tierernährung, sondern auch tierische Lebensmittel – die Verbindung zum Verbraucher ist ihm wichtig.

Keine Äcker in den Bergen

Fallen Fleisch und andere tierische Produkte in der Ernährung weg, würden die Menschen weit mehr Getreide und Gemüse benötigen. Doch woher kommen die Flächen, um mehr pflanzliche Lebensmittel zu produzieren? Bergregionen eignen sich nicht für den Ackerbau. Rund die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Österreich ist derzeit Grünland. Hier fressen Kühe den für den Menschen nicht direkt nutzbaren Rohstoff Gras und produzieren daraus Milch. Entstehen dort Felder, verschwinden die Wiesen. Verschwinden einfach nur die Kühe, würden die Flächen verwildern oder sich Wälder deutlich ausbreiten.

Auch die Fruchtfolgen der Pflanzen müssten überdacht werden, da der Anbau bestimmter Futterpflanzen weltweit nicht mehr sinnvoll wäre. Das könnte dazu führen, dass die Artenvielfalt – bei Pflanzen und Tieren – deutlich abnimmt. Gibt es zudem keinen Mist und keine Jauche mehr, braucht es mehr mineralische Düngemittel, gibt Gierus zu bedenken.

In einer Landwirtschaft ohne Tiere entstünde außerdem ein Wettbewerb zwischen Lebensmittelproduktion und Bioenergie, so Gierus. Weltweit wird Bioenergie, etwa in Form von Biodiesel oder Biogas, stark ausgebaut, Pflanzen oder Pflanzenreste sind die Basis dafür.

Tiere werden aber nicht nur gegessen; sie fressen wiederum, was der Mensch nicht mehr braucht. Die Schalen von Hafer oder Dinkel sind genauso Tierfutter wie die Trockenschnitte aus der Zuckerrübe, die nach dem Auspressen des zuckerreichen Safts entsteht. Reicht die Qualität von Weizen nicht für Mehl oder passt dem Braumeister die Gerste für das Bier nicht, wird das Getreide ebenso als Tierfutter verwendet.

Tierfutter vom Winzer

Auch Winzer wollen aus ihren Trauben möglichst viel herausholen – nicht nur Wein. Traubenkernöl gewinnt als Nahrungsmittel, aber auch für Kosmetika, an Bedeutung. Doch was tun mit dem Presskuchen, der dabei entsteht? Die in den Trauben enthaltenen wertvollen Stoffe tun nicht nur dem Menschen gut. Sie sind auch gesund für den Darm von Tieren. Daher untersuchen Gierus und sein Team das Potenzial des Futtermittels nun in einem Forschungsprojekt.

Und was passiert mit Hunden oder Katzen, die nur vegane Nahrung bekommen? Magen und Darm der Fleischfresser sei nicht darauf ausgelegt, das sei also nicht im Sinne des Tierwohls, sagt Gierus.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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