Wie viele Wahlversprechen werden tatsächlich umgesetzt?

Wer die Macht hat, hat es leichter, Ankündigungen auch in die Tat umzusetzen. Vor allem Oppositionsparteien versprechen im Wahlkampf viel.

Schon William Shakespeare sah ein Versprechen als „unbezahlte Schuld“. Wie viele dieser im Wahlkampf angehäuften Schulden Politiker einlösen, untersuchte Katrin Praprotnik in ihrer Dissertation am Institut für Staatswissenschaft der Uni Wien. Die Politikwissenschaftlerin analysierte dazu Wahlversprechen der Jahre 1990 bis 2013. Inwieweit diese auch eingelöst werden, kontrollierte sie anhand von Gesetzestexten, Medienberichten und Statistiken.

„Mit ihrer Stimme geben die Wähler den Parteien den Auftrag, ihre Versprechen umzusetzen“, sagt Praprotnik. Das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit im Rahmen der Nationalen Wahlstudie, eines vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Forschungsnetzwerks: Die erste SPÖ-ÖVP-Koalition mit Werner Faymann als Bundeskanzler hielt 57 Prozent der Versprechen. Für ihr Projekt wertete sie zunächst die Programme aller Parteien inhaltsanalytisch aus – und fand 149 Versprechen von SPÖ- und 70 von ÖVP-Seite. Die FPÖ lieferte 137, das BZÖ 133 Ankündigungen, die es umsetzen will. Spitzenreiter waren mit 195 Versprechen die Grünen.

Alternativen anbieten

Für den gesamten Untersuchungszeitraum zeigt sich, dass der Anteil der objektiv überprüfbaren Versprechen in den Wahlprogrammen der Oppositionsparteien größer ist als bei den Regierungsparteien. Praprotnik nennt das „Kampagne der alternativen Politik“: Man wolle so wohl Alternativen zu bestehenden Perspektiven anbieten.

Für das Einlösen der Versprechen entscheidend seien zunächst das Koalitionsabkommen und die dort abgebildeten Punkte. „Darin legen die Parteien fest, was auf die politische Agenda kommt“, so Praprotnik. Welche Versprechen halten, hängt freilich auch davon ab, wie viel Macht und welche konkreten Einflussmöglichkeiten eine Partei bekommt. „Verfügt sie über ein Ministerium, sind die Chancen für die Umsetzung eines Wahlversprechens, das in diesen Bereich fällt, höher“, so Praprotnik. Dabei fiel ihr auf: Gibt es im Ministerium einen Staatssekretär der Koalitionspartei, zeigt sich der Effekt nicht.

Am häufigsten eingehalten werden Ankündigungen, die eine Beibehaltung des Status quo versprechen. Die Dinge zu belassen, wie sie sind, funktioniere aber ebenfalls vor allem nur, wenn eine Partei in der Regierung ist; den Oppositionsparteien fehle dazu schlichtweg die Macht. Eher umgesetzt werden Wahlversprechen auch, wenn die Wirtschaft wächst oder eine Legislaturperiode bis zum Ende hält. „Dann haben die Parteien auch Zeit, ihre Versprechen einzulösen.“ Ebenso, wenn ein Thema in die alleinige Kompetenz einer Partei fällt. Spielen Akteure in den Bundesländern oder auf EU-Ebene hinein, „stört“ das, wissenschaftlich betrachtet, den Effekt.

Die Dissertation ist mittlerweile fertig, an den Daten arbeitete Praprotnik aber weiter. Demnächst veröffentlicht sie im Fachjournal „Party Politics“ neue Ergebnisse. Aktuell vergleicht die Forscherin – mittlerweile an der Uni Hamburg –, wie in westeuropäischen Staaten neue Parteien entstehen.

Apropos Vergleich: In einer deutschen Studie zu Wahlversprechen entdeckte sie, dass deutsche Regierungsparteien mit 63 Prozent ähnlich viele Ankündigungen halten wie österreichische. Und auch brechen. „Versprochen ist versprochen und wird nie mehr gebrochen“, heißt es ohnehin nur im Kindermund.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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