Warum sind Menschen kitzelig?

Kitzeln ist ein Schutzreflex. Selbst kitzeln kann man sich nicht, weil das Gehirn zwischen fremdem Reiz und eigener Berührung unterscheidet.

Die Feder nähert sich dem Fuß, der Überraschte zuckt zusammen, fühlt sich gestört, muss aber zugleich kichern. „Kitzeln kommt durch einen Reiz von außen zustande“, erklärt der Neurophysiologe Eugen Gallasch von der Med-Uni Graz. Besonders viele Rezeptoren sitzen im Gesicht und an Extremitäten wie Händen und Füßen. Diese Sinneszellen nehmen selbst sanfte Berührungen wahr, wandeln sie in elektrische Signale um und leiten sie über das Zentralnervensystem an das Gehirn weiter.

Dennoch sei Kitzeln kein klassischer Reiz wie etwa der Temperatur- oder der Schmerzreiz, die in Physiologiebüchern vorkommen. Evolutionsbiologisch gesehen sei es vielmehr ein Schutzreflex, zum Beispiel gegen Insekten oder Krabbeltiere: „Die Haut ist mit rund zwei Quadratmetern Fläche unser größter Außensensor“, sagt Gallasch. Aber nicht nur Menschen, sondern auch alle Säugetiere sind kitzlig (hier irrte etwa Aristoteles, der das als Phänomen des Menschen sah). Denn auch eine Fliege irritiert ein Pferd, das diese wiederum rasch mit dem Schweif entfernt.

Zwischen Spaß und Qual

Säuglinge lassen sich meist gern kitzeln, sie lächeln dabei: Das diene der Kommunikation zwischen Kleinkind und Eltern und stärke die Bindung, so Gallasch. Bei älteren Kindern gehört Kitzeln zum spielerischen Balgen. Jugendliche und Erwachsene reagieren wieder anders, bei ihnen hängt die Wahrnehmung stark vom Ort und der sozialen Beziehung ab: Während Berührungen Fremder an öffentlichen Plätzen als unangebracht gelten, kitzeln sich Paare als Teil des erotischen Spiels meist gern.

Überhaupt liegt die Wahrnehmung von Kitzeln in der Regel irgendwo zwischen Spaß und Qual. In Experimenten lassen sich positive Gefühle genauso auslösen wie negative. Die Literatur unterscheidet zwischen Knismesis, dem angenehmen, sanften Kitzeln, und Gargalesis, Kitzelattacken, bei denen punktuell Druck auf empfindliche Körperstellen ausgeübt wird.

Im Mittelalter nutzte man Kitzeln sogar als Foltermethode: Angelockt durch Salz, ließ man Ziegen an den Fußsolen Gefangener lecken und trieb diese so regelrecht in den Wahnsinn. Tatsächlich erzeugt andauerndes, krampfartiges Lachen massive Muskel- und Lungenschmerzen. Das Salz raute aber auch die Haut auf und brannte dann in der offenen Wunde.

Warum kann man sich nicht selbst kitzeln? Dabei fehlt der Überraschungseffekt: „Der Körper registriert, dass der Reiz von uns selbst kommt“, sagt Gallasch. Dabei spielt das Kleinhirn eine wichtige Rolle: Es erhält vom Motorikzentrum ein Signal, das die Eigenbewegung abbildet. Bei der Berührung entsteht dann ein Reizsignal, das ebenfalls an das Kleinhirn geht. Dieses registriert nun die zeitliche Nähe zwischen Reiz- und Motoriksignal und entsendet daraufhin dämpfende Signale an die Wahrnehmungszentren.

Rehabilitation nach Hirnschlag

Wie Menschen Reize wahrnehmen, ist einer der Schwerpunkte in Gallaschs Forschungsarbeit: Er untersucht, über welche Sinneskanäle sie das Gehirn erreichen und was sie dort auslösen. Damit eng verbunden ist die Sensomotorik: das Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Leistungen, durch das der Körper Bewegungen steuert. Wissen dazu kann etwa bei der Rehabilitation von Patienten nach einem Hirnschlag helfen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2016)

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