Wie funktioniert Improvisation zwischen zwei Tänzern?

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Symbolbild (c) FABRY Clemens
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Die Dancing Stars folgen einer einstudierten Choreografie. Im Improvisationstanz kommunizieren die Partner über minimale Körpersignale.

Es beginnt mit einer kleinen Berührung. Der eine spürt den anderen, kommt näher, entfernt sich wieder. Das Bein der Dame geht nach hinten, der Oberkörper des Tanzpartners gleitet vor, und innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde greifen die Handlungen ineinander. Die Bewegungen ergeben ein stimmiges Ganzes, wortlos. Das sind die für Tänzer und Publikum „magische Momente“, mit denen sich Kognitionswissenschaftler Michael Kimmel von der Uni Wien befasst. Er will in seiner Forschung verstehen, was zwischen zwei Menschen passiert, die sich ständig mit improvisierten Entscheidungen auf der Tanzfläche abstimmen.

„Eine wichtige Basis ist das Wir-Bewusstsein als Paar“, sagt Kimmel. Es sollte bestehen, bevor ein Paar die Tanzfläche betritt. Ähnlich wie bei anderen Sportarten – auch bei Kampfsport, bei dem es gar nicht um Kooperation geht – verständigen sich die Partner vorab auf Ziele und Regeln, denen sie folgen wollen. Das schafft Vertrauen. Die weitere Kommunikation erfolgt nonverbal: Im Tanz soll eine Resonanzschleife mit dem anderen Körper entstehen, so Kimmel. Voraussetzung dafür sei eine gewisse Körperspannung, denn „ein schlacksiger Körper spürt auch nichts“. Diese bleibt während des ganzen Tanzes konstant.

Umarmung verrät viel

Untersucht hat Kimmel das unter anderem an Tangotänzern. Diese bleiben über den Fußballen ständig in einer labilen Position, die ihnen aber zugleich erlaubt, sich in jede Richtung zu bewegen. „Es ist wichtig, dass der Einzelne ständig bereit ist, sonst funktioniert die gemeinsam durchgeführte Bewegung nicht.“ Diese sehr feinen Signale wahrzunehmen lasse sich trainieren. Anders als bei fix einstudierten Choreografien, etwa auch bei „Dancing Stars“, fallen beim freien Improvisationstanz jede Sekunde mehrere Entscheidungen. Funktioniert die Abstimmung nicht perfekt, wirkt das für den Betrachter nicht mehr harmonisch.

Es gehe daher darum, für den anderen „anknüpfungsfähige Situationen“ herzustellen, so Kimmel. Über eine Umarmung lasse sich etwa herausfinden, wie sich der andere ab der Körpermitte, mit Hüfte und Beinen, bewegt. Im Kampfsport sei das genau umgekehrt: Dort dürfe man dem Gegner keine Anknüpfung anbieten. Aikido-Meister stellen sich bewusst so hin, dass das Gegenüber keinen Angriff mehr wagt. Auch diese hat Kimmel in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt beobachtet.

Doch wie erhebt der Forscher, was zwischen zwei Menschen beim Tanzen, im Kampfsport oder auch bei Shiatsu oder Feldenkrais passiert? Er filmt sie, zeigt ihnen direkt im Anschluss das Video und bittet sie, über ihr Tun laut nachzudenken. Was haben sie an sich, am anderen gespürt? Warum haben sie welchen Schritt gesetzt? Ein qualitatives Untersuchungsverfahren, das dem Befragten viel Freiraum lässt. „Profis erinnern sich sehr intensiv. Selbst die kleinsten Momente bleiben ihnen im Kopf“, sagt er.

Die Erkenntnisse sollen sich überall dort nutzen lassen, wo Menschen eng zusammenspielen, also etwa auch in Unternehmen. Hier könne Improvisation wichtige Beiträge für die Innovationsfähigkeit leisten, so Kimmel. Er will seine Ergebnisse aus der Grundlagenforschung daher künftig auf die Praxis übertragen. Vielleicht passieren dann ja auch in Unternehmen magische Momente wie beim Tanz.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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