Wie früh sollen Kinder mit dem Joggen beginnen?

Kinder laufen ueber eine Wiese
Kinder laufen ueber eine Wiese(c) Bilderbox
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Erlaubt ist alles, was den Kindern Spaß macht. Sollen sie Laufen als Sport betreiben, lässt man sie vorher aber besser untersuchen.

Ein kleines Kind macht eigentlich alles richtig. Stellt man es auf eine Wiese, läuft es los. Und hat Spaß daran. Die Erziehung („Sitz still!“, „Gib Ruhe!“) treibt vielen den Bewegungsdrang aber wieder aus. Oder ein elterliches Vorbild, das sich in der Freizeit kaum von der Couch hebt. Oder fehlende Gelegenheiten, wenn Kinder in der Stadt aufwachsen. Was aber, wenn der Sechsjährige mehrere Kilometer durch den Prater joggen will – ist die Bewegungsfreude ein Geschenk oder schadet sie gar Bändern und Gelenken?, fragt ein Vater.

„Die kenianischen Weltklasseläufer eint eines: Niemand hat als Kind trainiert, aber alle hatten lange Schulwege“, sagt Sportmediziner Piero Lercher von der Med-Uni Wien. Und meint damit: Den natürlichen Bewegungsdrang auszuleben, ist die ideale Vorbereitung für Spitzensportler. Gut sei alles, was dem Kind Spaß macht. Kommen Druck und Drill ins Spiel, rät Lercher zur Vorsicht: Dabei überlasten sich Kinder mitunter, weil sie nicht rechtzeitig stoppen. Das passiere oft auch, wenn die Kleinen unbewusst dem Ehrgeiz der Großen nacheifern.

Wachstumsfugen empfindlich

Dadurch kann der Bewegungsapparat aber leiden, warnt der Sportmediziner: Der jugendliche Körper wächst noch; durch frühe Überlastung kommt es zu Fehlbelastungen, das kann die Gelenke abnützen.

Die Folgen spürt man oft erst Jahre später. Die für das Knochenwachstum wichtigen Wachstumsfugen schließen sich erst zwischen dem 16. und dem 20. Lebensjahr. Zu große oder falsche mechanische Belastung kann sie beschädigen und das wiederum zu Wachstumsstörungen führen.

Wie ein Erwachsener auch sollte sich ein Kind also vor dem Start des Trainings untersuchen lassen: Als Mindestanforderung einer Leistungsdiagnostik beim Kind gelten ein sportmedizinischer Basischeck und ein EKG, so Lercher. Darüber hinaus solle man auch auf die Ausrüstung achten: es ernstnehmen, wenn das Kind buchstäblich der Schuh drückt. Dann zahlt es sich aber aus, die fünf motorischen Grundeigenschaften – Beweglichkeit, koordinative Fähigkeiten, Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft – zu trainieren: Denn diese entwickeln sich bis zum 11. Lebensjahr entscheidend.

Oder eben nicht: „Wir beobachten bei Kindern nicht nur eine ungünstige Fett-Muskelrelation, sondern auch extreme Koordinationsschwächen“, sagt Lercher. Umgangssprachlich ausgedrückt sind immer mehr Kinder „pummelig und patschert“, weil sie sich zu wenig bewegen. Zu wenig körperliche Aktivität und falsches Essen seien auch die Hauptgründe, warum die Bevölkerung insgesamt zunehmend verfettet.

Wie bei so vielem macht aber auch bei der Bewegung die Dosis das Gift: Man müsse Sport wie auch andere Medikamente dosieren, sagt Lercher. Die Suche nach dem richtigen Ausmaß hat ihn bereits in der Dissertation beschäftigt. „Wir müssen zuerst fragen: Welche Sportart passt für einen Menschen, wie oft soll er sie ausüben, wie lange und mit welcher Intensität“, erklärt er. Das sei immer gleich: ob man ein Kind oder einen Olympiasieger trainieren wolle oder einen Bettlägrigen darauf vorbereiten, dass er nach langer Krankheit wieder aufstehen kann.

Lercher bezeichnet seine wissenschaftliche Arbeit als „Alltagsforschung“. Einmal habe er einen 96-Jährigen sportärztlich begleitet, der 100 Jahre alt werden wollte. Er wurde schließlich 102.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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