Warum ist Blaukraut nicht blau – und Rotkraut nicht rot?

Das Kohlgemüse enthält den Farbstoff Cyanidin, der je nach pH-Wert seine Farbe ändert. Das Kraut ist älter als die Namen für seine echte Farbe.

Blaukraut bleibt Blaukraut? Der Zungenbrecher stimmt gar nicht. Blaukraut nennt man nur in Süddeutschland und Westösterreich so. In Ostösterreich und Mitteldeutschland heißt dieselbe Art Rotkraut, in Norddeutschland Rotkohl.

Und Blaukraut ist nicht immer blau. Die Färbung von Brassica oleracea bestimmt der Farbstoff Cyanidin, der sich als pH-Indikator eignet. Denn Cyanidin kann je nach pH-Wert entweder Protonen aufnehmen oder abgeben und ändert dadurch seine Farbe: In sehr saurer Lösung (pH-Wert 2) ist es rot, in weniger saurer (pH-Wert 4) lila. Die Färbung über pH-Wert 7, im basischen Bereich, wird blau, über pH-Wert 10 sogar grün und gelb. Dies ist der Grund, warum das Kraut am Feld je nach Säuregehalt des Bodens eher rötlich oder eher blau erscheint. „Ich denke aber nicht, dass die unterschiedlichen Farben, die die Bodenqualität anzeigen, zu den verschiedenen Namen dieses Krauts geführt haben – dass es also in Regionen mit basischem Boden Blaukraut heißt und in Regionen mit saurem Boden Rotkraut“, sagt Martin Bobal, der im Christian-Doppler-Labor für Monitoring mikrobieller Kontaminanten an der Vet-Med-Uni Wien arbeitet.

„Denn die Farbe des rohen Krauts ist eigentlich Violett, ein Zwischenton.“ Der studierte Konzertgitarrist arbeitete lange als Colorist in der Postproduktion von Video und Film und weiß, wie schwierig der Umgang mit Mischfarben aus Rot und Blau ist. „Wenn Sie ein Veilchen fotografieren, wird es auf dem Bild nie genauso aussehen wie im Original.“ Rot und Blau liegen an den beiden Enden des Farbspektrums, und ihre Zwischentöne abzubilden ist immer eine Herausforderung. „Rot ist ein warmer Farbton und Blau ein kalter: Ihre Mischungen sind in unseren Sprachgebrauch nicht eingegangen.“ Während Blaugrün zwar gebräuchlich ist, gibt es kein Blaurot in der deutschen Sprache.

Zudem gab es im Mittelalter, als sich die verschiedenen Bezeichnungen für Blaukraut etablierten, noch gar keinen Ausdruck für Lila oder Violett. „Purpur war zwar bekannt, aber man wollte dieses Kraut wohl nicht nach der Farbe der Könige nennen.“ Da es keinen Namen für den Farbton des Krautes gab, entstanden wohl die Bezeichnungen regional unterschiedlich.

Seife macht das Kraut grün

Die Farbänderung des Blaukrauts bei Kontakt mit Säuren oder Basen kennt jeder, der schon einmal den Blaukraut-Topf mit Spülmittel ausgewaschen hat: Plötzlich wird das violette Restl durch die basische Seife blau-grün. „Sie können auch beim Kochen experimentieren und dem Kraut etwas Backpulver hinzufügen, dann wird es schön blau“, sagt Bobal. „Oder einen Schuss Zitrone oder Essig, dann wird es rötlich und zeigt die Säure an.“

Bobal, der als Quereinsteiger zur Wissenschaft kam, arbeitet als Techniker in dem CD-Labor, das auf den Nachweis von Bakterien, Viren und Schimmelpilzen in der Lebensmittelproduktion spezialisiert ist. „Wir beschäftigen uns mit ionischen Flüssigkeiten, das sind Salze, die bei Raumtemperatur flüssig sind, und denen großes Potenzial vorhergesagt wird.“

Aber während andere Institute den Einsatz in technischen Anwendungen wie etwa als Schmier- und Klebstoffe testen, will das Wiener Labor ionische Flüssigkeiten nutzen, um molekularbiologische Methoden zu entwickeln und die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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