Chemienobelpreis: Scheren, mit denen die DNA repariert wird

(c) AFP (JONATHAN NACKSTRAND)
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Das Erbmaterial der Lebewesen muss ständig korrigiert werden: Ein Schwede, ein Türke und ein Amerikaner haben erforscht, mit welchen Werkzeugen das geschieht. Sie teilen sich in Stockholm die Auszeichnung.

Was ist Leben? Darüber lässt sich lang grübeln, aber eines steht fest: Wesentlich für Leben ist Information, die bewahrt, weitergegeben und ausgeführt wird. Bei der Ausführung sind die Proteine federführend: Als Enzyme regeln sie, was im Stoffwechsel eines Lebewesens so alles passiert. Die Information dafür steckt aber in einer anderen Substanz, der Desoxyribonukleinsäure, der DNA, genauer: in der Abfolge der Basen, die an ihrem – aus Zucker und Phosphorsäure gebauten – Rückgrat hängen. So stehen in der DNA die Bauanleitungen für die Proteine.

Und diese DNA, aufgehoben in den Zellkernen, wird weitergegeben: bei jeder Zellteilung von der Mutterzelle an die Tochterzellen. Und von einer Generation an die nächste, dieser „River out of Eden“, wie es Richard Dawkins parareligiös ausgedrückt hat, verbindet alle Lebewesen. Dass die DNA dabei nicht perfekt konserviert wird, darauf beruht die Evolution: Mutationen entstehen dauernd, und wenn sie, was selten ist, den Individuen in einer bestimmten Umwelt einen Vorteil bringen, setzen sie sich dort durch, werden selektiert, wie die Biologen sagen.

Ständig treten Kopierfehler auf

Doch vor allem innerhalb des Lebens eines Individuums sind Mutationen gar nichts Positives: Sie können Krebs bringen. Passieren können sie entweder durch äußere Einflüsse – etwa durch UV-Licht oder kanzerogene Stoffe im Rauch – oder bei der Zellteilung, wenn die gesamte, wiewohl auf 23 Chromosomen aufgeteilte DNA verdoppelt wird. Das passiert permanent, ein Leben lang, und dabei treten ständig Kopierfehler auf. Damit diese nicht gefährlich werden, gibt es ein Kontroll- und Reparatursystem, das so ausgetüftelt scheint, dass Anhänger eines Intelligent Design sich dadurch gern bestätigt fühlen. Dabei leuchtet schnell ein, dass jede Verbesserung in diesem System den Individuen gewaltige Vorteile bringt und sich daher leicht durchsetzt.

Die drei Forscher, die heuer den Chemienobelpreis bekommen, haben sich mit der mit der Biochemie dieses Systems befasst. Zunächst der Schwede Tomas Lindahl, er hat sich Ende der Sechzigerjahre gefragt: Wie stabil ist DNA wirklich? Zunächst hat er es mit deren kleiner Schwester, der RNA, probiert und festgestellt: Sie hält nicht einmal ein bisschen Hitze aus. Also, hat er geschlossen: Es muss Werkzeuge geben, die beschädigte DNA reparieren, und das werden wohl, wie im Körper üblich, Enzyme sein.

Lindahl hat mit einer besonders häufigen Mutation begonnen: Eine der vier DNA-Basen, das Cytosin, verliert leicht eine NH2-Gruppe. Das beeinflusst aber die Paarung der Basen, die die beiden Stränge der DNA-Doppelhelix zusammenhält: Cytosin ohne NH2 paart sich lieber mit Adenin, statt, wie's gehört, mit Guanin. Womit schon eine Base falsch und eine Mutation etabliert wäre. Lindahl ist es in den frühen Siebzigerjahren gelungen, in Bakterien ein Enzym zu finden, das kaputte Cytosine aus der DNA schneidet. Solche Scheren-Enzyme fand er später auch im Menschen.

Heilung der DNA durch Licht

Ganz anders kam Aziz Sancar auf das Thema, ein türkischer Landarzt, der sich 1973 entschloss, in Istanbul Biochemie zu studieren. Ihn hat fasziniert, dass durch UV-Strahlung geschädigte Bakterien sich erholen, wenn man sie blauem Licht aussetzt. Bei seiner Dissertation ist es ihm gelungen, das Enzym zu finden, das das bewirkt. Doch das Interesse der Fachwelt war gering, er fand nur einen Job als Labortechniker, immerhin in Yale. Dort hat er nebenbei weiter erforscht, wie UV die DNA schädigt und wie die Schäden repariert werden: Auch hier schneiden Enzyme die DNA, allerdings weiträumiger, und auch hier füllen andere Enzyme, DNA-Polymerasen, die durch die Operation entstandenen Lücken wieder auf, Ligasen sorgen für die neuen Verbindungen. Und die Heilung durch Licht? Ihren Mechanismus konnte Sancar ebenfalls aufklären, und er hat entdeckt, dass auf ganz ähnliche Weise unsere innere Uhr durch Licht gestellt wird.

Besonders wichtig ist die Korrektur etwaiger Fehler gleich nach der Verdopplung der DNA: Dauernd passiert es, dass Basen nicht so zusammenhängen, wie sie sollen. Doch wie wissen die korrigierenden Enzyme, an welchen der beiden Stränge einer Doppelhelix sie ihr Geschäft verrichten sollen? Wie können sie zwischen dem alten Strang – der als Vorlage gedient hat – und dem neuen unterscheiden? Durch Methylgruppen, wie sie oft an DNA-Basen hängen und diese markieren. In diesem Fall ist der neue DNA-Strang (noch) nicht methyliert, und daran erkennen die Korrekturenzyme, dass sie dort ansetzen sollen. Das entdeckte der Amerikaner Paul Modrich – bei Bakterien, bei Menschen weiß man bis heute nicht, wie das funktioniert.

„You should learn about this DNA stuff“, soll Modrichs Vater, ein Biologielehrer, zu seinem Sohn gesagt haben, 1963, in dem Jahr, als Watson und Crick für die Entdeckung der DNA-Doppelhelix den Nobelpreis bekommen haben. Es gibt noch immer einiges zu lernen über dieses DNA-Zeug, und darüber, wie es sich reparieren lässt.

NEUE NOBELPREISTRÄGER

Aziz Sancar, geboren 1946 in Savur (Türkei), tätig in den USA. Der Kurde ist nach Orham Panuk (2006) der zweite türkische Nobelpreisträger.

Paul Modrich, geb. 1946 in New Mexico. Arbeitet an der Duke University „ohne Sinn für Eile, die kleinen Schritte befriedigen mich“.

Tomas Lindahl, geboren 1938 in Stockholm, Studium am Karolinska-Institut. Karriere in den USA und in Großbritannien. [ Reuters (2), Picturedesk.com ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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