Die Schweine von Bogdanowka

"Expedition Europa“: auf den Killing Fields des rumänischen Diktators Antonescu.

In der südukrainischen Atomstadt Juzhnoukrainsk. Ich mustere stundenlang Taxifahrer, um den richtigen zu finden. Mein Vorhaben ist unangenehm, ich will über die vergessenen Killing Fields des rumänischen Diktators Antonescu fahren. In „Transnistria“ – heute großteils Ukraine – führte das mit Hitler verbündete Rumänien seinen Holocaust durch. Hauptsächlich Juden aus Odessa und Bessarabien wurden hier im Winter 41/42 ermordet, mindestens eine Viertelmillion. Auch kritische rumänische Historiker rühren Transnistria lieber nicht an.
Das Taxi rumpelt auf die Fähre, die von einem Stahlseil durchzogen wird. Die beiden Fährmänner hängen eingekerbte Holzprügel ins Seil, so ziehen sie die Fähre. Die Fahrgäste machen mit. Auch mit meiner Muskelkraft gelangen wir ans Westufer des Südlichen Bug, von der damals deutschen in die damals rumänische Besatzungszone.

Kurz nach dem Dorf Bogdanowka stehe ich auf der Anhöhe, auf der damals 54.000 Juden erschossen wurden, nackt. Getötet wurde vom 21. bis zum 23. Dezember. Über Weihnachten durften die Mörder im Kreis der Familie ausruhen, am 28. machten sie weiter. Die Sterbenden wurden in die tiefen Gräben gestoßen, die sich zum Fluss hinunterzogen. Diese Gräben sind nun eingeebnet. Mein Fahrer, Wassilij, ist noch nie bei dem kleinen Denkmal gewesen, er reagiert still bewegt. Er hat lange in Sibirien gelebt, liebt das Fischen, die Klarheit menschenleerer Natur. Es tut gut, mit dieser Seele von Mann hier zu sein. Im Auto ruft er plötzlich aus: „Aber warum ausgerechnet die Juden? Warum nicht Ukrainer oder Zigeuner?“ Ich schweige. Aus der spärlichen Literatur weiß ich nur, dass am deutschen Ufer auch 25.000 Roma ermordet wurden.

„Münzen und Zähne gefunden“


Vor der Erschießung trieb die rumänische Gendarmerie die Juden in eine große Sowchose, in leer stehende Schweineställe. Schwer zu finden, überall überwucherte Ställe. Im nächsten Weiler schickt man uns zur ältesten Bäuerin. Wir finden „Tante Walja“ am Ende eines schmalen Wohnraums liegen, wie aufgebahrt. Weiche Tapeten, rosa Tuch an der Decke, ein Fernseher. In der Kammer wohnt die blinde Greisin, 93, mit ihrer Tochter, 73, ein Auge zugewachsen. Ich muss die Tochter anschreien, damit sie der Mutter meine Fragen ins Ohr schreit. „Die Rumänen haben uns alle Hühner gestohlen“, äußert die reglose Alte. „Sie haben Juden durchs Dorf getrieben. Ein Paar hat mir Gold angeboten, wenn ich ihnen das Kind verstecke. Das war mir aber zu gefährlich.“
Nachher besteht eine Nachbarin darauf, mir die Heldengeschichte von Vinogradnij Sad zu erzählen. Ihre Familie hatte ein jüdisches Mädchen versteckt. Die schöne Lisa lebe heute in Israel, „sie ist sehr dankbar und bringt Geschenke“.

Zurück in Bogdanowka, rede ich mit Landarbeitern. Ich höre, dass die Sowjetmacht in den gewissen Schweineställen später wieder Schweine hielt, bis zu 10.000. „Finden Sie das nicht grausam?“, frage ich. Einer nur: „Krieg.“ Ein anderer: „So war das Leben.“ Mir fällt auf, dass am Juzhnoukrainsker Ufer alle und am Bogdanowkaer Ufer die Jüngeren nie etwas von rumänischen Tätern gehört haben. Fast alle glauben, dass auch in Bogdanowka Deutsche die Täter waren.
Schließlich stehe ich vor dem gesuchten Schweinestall. Eine Holzleiter hängt pittoresk an der Mauer. Die Tore stehen offen, 20 Schweine rennen frei über das Gelände. Dazu noch ein Dutzend Kühe, angehängt auf der verschlammten Wiese. Und schon radelt der Kleinbauer herbei. Er ist um die 40, hat einen Kavaliersschnurrbart und blinzelt mich listig an. „Als Kinder haben wir manchmal Münzen und Zähne gefunden“, erzählt er verschmitzt. „Na ja, wir waren klein. Wir haben uns nicht gewundert.“ ■

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