Gutes Gedeihen

Welche Räume für den Nachwuchs geeignet sind, weiß man inzwischen. Wie man diese erlangt, ist dagegen noch nicht ganz gesichert – doch gibt es bereits positive Versuche. Ein Besuch in Linz.

Was erwarten wir von der Institution Schule? Wo und von wem sollen Kinder und Jugendliche betreut und erzogen werden, wenn ihre Eltern dafür keine Zeit haben? Das Dienstrecht der Lehrer - ob alt oder neu - wird diese Fragen nicht beantworten. Doch Schulerhalter und Gemeinden reagieren auf die unleugbar vorhandenen Bedürfnisse der Bevölkerung und nehmen mit der Bereitstellung angemessener Räume die Antworten teilweise vorweg. So hat die Stadt Linz mit Schulbeginn 2013 ihr Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen um fast 500 Plätze erhöht. Ein Besuch im Schülerhort Spaunstraße zeigt, wie hoch die Stadt respektive ihre ILG genannte Immobiliengesellschaft den Wert räumlicher Qualität im Umgang mit einem gesellschaftlich sensiblen Thema ansetzt.

Geplant haben den Neubau des Schülerhortes Grabner/Konrad Architektinnen, ein junges, in Linz ansässiges Team, das die ILG mit seinem Erweiterungsbau des Bundesrealgymnasiums Linz Hamerlingstraße auf sich aufmerksam gemacht hat. Den Gewinnerinnen eines seitens der Bundesimmobiliengesellschaft ausgeschriebenen Architekturwettbewerbes ist es gelungen, den zusätzlichen Raumbedarf in einer bereits weitläufigen Anlage zu decken und diese gleichzeitig klarer und übersichtlicher zu gestalten.

Das Schulgebäude zeigt dem Stadtraum nun eine neue, die unterschiedlichen Bauetappen ruhig fassende Fassade. Die großzügige, von einer Glasfuge erhellte Loggia vor dem Haupteingang findet in einer von störenden Einbauten befreiten Halle ihre Fortsetzung, die den Blick in einen überraschend weiten Grünraum freigibt. Dieser wird von neuen, in das Gelände eingesenkten Baukörpern gegliedert, in denen die Schulbibliothek, Musikräume sowie ein teilbarer Mehrzwecksaal untergebracht sind. Von eingeschnittenen Atrien erhellt, bereichern diese Räume den Schulkomplex mit ihrer kontemplativ gestimmten Heiterkeit.

Neben der Sanierung und Erweiterung eines Gymnasiums für mehr als 850 Schülerinnen und Schüler nimmt sich der Neubau eines Hortes mit sechs Gruppenräumen klein und einfach aus. Umso mehr Detailgenauigkeit haben Grabner/Konrad in die Planung fließen lassen. Der Schülerhort liegt in einem „Neue Welt" genannten Stadtteil von Linz, der von kleinmaßstäblichen Wohnhäusern und ihren Gärten geprägt ist. Ein wenig von der namengebenden Spaunstraße abgerückt, gibt das Gebäude einen Teil seines Bauplatzes dem öffentlichen Raum zurück und lässt Platz für eine fußläufige Verbindung zu Sportplätzen in der Nähe.

Die gewählte Grundrissform eines nicht ganz regelmäßigen Ypsilons gliedert sowohl den Außen- als auch den Innenraum und stellt die Wahrung des Maßstabes sicher: Die drei Stirnseiten des Schülerhorts entsprechen in ihren Proportionen jenen der Wohnhäuser, allerdings ohne sich ihrer Architektursprache zu bedienen. Das zweigeschoßige, als konstruktiver Holzbau errichtete Gebäude ist mit einer Schalung aus vertikalen Lärchenholzlatten verkleidet, aus der weiße glatte Aluminiumrahmen unterschiedlich tiefe Außenräume schneiden.

Einer dieser Rahmen markiert den Haupteingang an der Nordwestecke des Gebäudes, der über eine gedeckte Vorzone und einen gläsernen Windfang in die Erschließungszone des Schülerhortes führt. Diese weitet sich, eine Kurve nach Südwesten beschreibend, nach innen auf und dient den Kindern als zusätzlicher Bewegungsraum. Die einläufige Treppe an der straßenseitigen Fassade führt unmittelbar vom Eingang in das Obergeschoß. Auf beiden Ebenen öffnet sich das breite Ende der Erschließungszone gläsern zum Garten. Hier nehmen die Kinder mittags das Essen ein, das in der Küche im Erdgeschoß gewärmt wird. Der deutliche Bezug zum Außenraum ist ein wichtiges Motiv der Raumgestaltung: Alle Gruppenräume, die beiden Bewegungsräume und auch der Aufenthaltsraum der Betreuerinnen haben einen Ausgang entweder auf eine der Loggien oder in den Garten. Dank der Ausblicke und der klaren Organisation der Grundrisse orientiert man sich leicht in diesem Haus. Die konsequent ab einer Höhe von 1,40 Metern verglast ausgeführten Trennwände der Räume tragen zur Wahrung der Zusammenhänge bei, ohne die nicht minder wichtige Komponente der Geborgenheit preiszugeben.

Geborgenheit und helle, aufgeräumte Übersichtlichkeit geben die Grundstimmung des Gebäudes wieder, in dem Volksschulkinder jene Stunden verbringen, in denen weder Schule noch Elternhaus für sie zuständig ist. Mit entsprechend großer Sorgfalt sind Grabner/Konrad auf die Bedürfnisse der Kinder und ihrer Erzieherinnen eingegangen. Den Großteil der zur Ordnung eines Alltags zwischen Spielen, Lernen und Üben, zwischen Ruhe und Aktivität notwendigen Stauräume haben sie in Wandeinbauten integriert. Darin finden aber auch mit farbigem Filz ausgekleidete Rückzugsnischen Platz und Laden, die erst beim Herausziehen ihren Inhalt mit zarter Farbigkeit unterstreichen.

Weiß gemalte Decken und Wände und helles Holz - die tragende Mittelwand aus Brettsperrholz ist unverkleidet geblieben - bilden einen freundlich wirkenden, unaufdringlichen Hintergrund. Nur die WC-Anlagen sind in kräftigere Farben - Blau für die Buben, Grün für die Mädchen - getaucht. Kreisrunde, ebenflächig in die Akustikdecken integrierte Leuchten korrespondieren mit runden Lichtkuppeln und Glasausschnitten in der Decke zwischen Erd- und Obergeschoß. Netze dienen als Absturzsicherung im Bereich der Stiege und der Loggien. An dünnen Stahlseilen, durch Ausnehmungen im Boden der Loggien gefädelt, haben sich einige Schlingpflanzen schon vom Garten bis in den ersten Stock hinaufgearbeitet.
Es ist leicht möglich, dass es noch Jahre dauert, bevor sich die Wünsche unserer Gesellschaft in der Organisation des Schulwesens abbilden. Welche Räume dem Gedeihen unseres Nachwuchses förderlich sind, ist jedoch hinlänglich bekannt. Die von Architektinnen und Architekten für aufgeschlossene Auftraggeber erarbeiteten Beispiele räumlicher Qualität flächendeckend und organisationsübergreifend als Standard durchzusetzen könnte die schon lange schwelenden Konflikte zur Zukunft des Bildungswesens deutlich entspannen. Und den Betroffenen - Kindern, Lehrenden und Erziehenden - wäre damit sehr geholfen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2013)

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