Die Retter der Sofie

Würstel statt Engel, Investoren statt Mäzene: die neu-alten Wiener Sofiensäle, ein Pyrrhussieg der Denkmalpflege.

Manche Gebäude sind nicht umzubringen. Nach dem spektakulären Brand der Sofiensäle im August 2001 waren die Hoffnungen gering, dass dieser einzigartige Wiener Veranstaltungsort je wieder seinen Betrieb aufnehmen würde. Das Gerücht, dieser Brand sei nicht zufällig entstanden, hielt sich hartnäckig und wurde durch die Bemühungen des Eigentümers, des „Baulöwen“ Julius Eberhardt, so rasch wie möglich eine Abbrucherlaubnis zu erwirken, nicht gerade entkräftet.

Von den Sofiensälen war tatsächlich wenig mehr übrig als die Fassade zur Marxergasse und die Seitenwände des großen Saals mit Resten von Stuck und einigen Balkongeländern. Die Nebengebäude mit den weiteren Sälen hatten den Brand ebenso wenig überlebt wie das hölzerne Dach über dem Hauptsaal. Auch der Holzboden des Saals war verbrannt und ließ eines der ursprünglichen Besonderheiten des Gebäudes sichtbar werden: das große, aus Ziegeln gemauerte Becken, in dem einmal ein Schwimmbad untergebracht war. Im Winter wurde das Becken überplankt und der Raum darüber als Saal für Bälle und Konzerte genutzt, wobei der große Hohlraum unter dem Boden als Resonanzköper wirkte und zu einer exzellenten Akustik beitrug. Die Pläne, nach denen das Sofienbad in den Jahren 1846 bis 1850 errichtet wurde, stammten von den Architekten der Staatsoper, Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg. Von den Sofiensälen im Plural sprach man seit 1886, als der zweite, kleinere Saal errichtet wurde. 1899 erhielt das Ensemble eine neue, sezessionistisch angehauchte Fassade, entworfen von Ernst Gotthilf-Miskolcz, von dem unter anderem auch die Länderbank und der Anker-Hof im ersten Bezirk stammen.

Bedeutend waren die Sofiensäle aber nicht nur wegen ihrer Architektur. Hier haben zwischen 1850 und 1896 fast 100 Werke von Johann Strauss (Sohn) ihre Uraufführung erlebt; hier wurde 1926 die österreichischen NSDAP gegründet; ab 1938 dienten die Sofiensäle als Sammelstelle für die Deportation jüdischer Bevölkerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete die DECCA das modernste Aufnahmestudio Europas, das bis in die 1970er-Jahre in Betrieb war. In den 1980er-Jahren waren die Sofiensäle eine beliebte Location für Bälle wie das Elmayer-Kränzchen oder das ÖKISTA-Gschnas und schließlich ab 1990 ein Ort für Clubbings. Investiert wurde in die Säle kaum mehr, was ihnen ein einigermaßen abgewohntes Flair bescherte. Der Brand war das letzte Kapitel eines allmählichen Abstiegs.

Dass die Brandruine nicht sofort abgerissen wurde, ist dem Denkmalamt zu verdanken. Es attestierte den Resten einerseits ausreichende Standfestigkeit, andererseits einen Erhaltungszustand an den Oberflächen, der eine Wiederherstellung rechtfertigen würde. Die Strategie des Eigentümers, in dieser Hinsicht die Zeit für sich arbeiten zu lassen, indem die Wände des Saals der Witterung ausgesetzt blieben, ging nicht auf. Das Denkmalamt konnte gerichtlich durchsetzen, dass der Eigentümer zumindest die Erhaltung der Reste zu finanzieren hätte. Der geplante Hotelneubau auf dem Grundstück war unter diesen Bedingungen nicht zu realisieren.

2006 verkaufte Eberhardt das kulturhistorisch kontaminierte Areal an den Bauträger ARWAG, die hier vor allem Wohnungen errichten wollte und vom Architekten Alfred Wimmer ein Konzept ausarbeiten ließ, das die Erhaltung des Saals mit einer umgebenden Wohnnutzung verbinden sollte. 2010 zogsich die ARWAG teilweise aus dem Projekt zurück. Sie behielt nur den von historischem Ballast freien nördlichen Teil des Grundstücks und verkaufte den Rest samt Brandruine an die ifa, eine Tochterfirma der Soravia-Gruppe. Der Entwurf von Albert Wimmer, der bis zur Einreichplanung gediehen war, wurde von den neuen Eigentümern übernommen. Die Ausführungs- und Detailplanung erfolgte durch den Generalplaner L-Bau-Engineering sowie Söhne und Partner. Zur Wohnnutzung kamen noch ein Hotel, ein Fitnesscenter und ein Restaurant.

Die ifa versammelte eine Gruppe von rund 100 privaten Investoren im Rahmen eines Bauherrenmodells, die nun namentlich auf einer großen Tafel beim Eingang als Retter der Sofiensäle ausgewiesen sind, so wie sich im Musikverein eine Tafel mit Mäzenen findet, die dessen Bau finanziert haben. Die Chuzpe ist beachtlich: Während die Mäzene ihr Geld für den Musikverein gespendet haben, durften die Investoren bei den Sofiensäle ihr Geld vermehren, und das mit beachtlicher Unterstützung aus Steuermitteln. 2,7 Millionen Euro hat die Stadt Wien aus der Wohnbauförderung beigetragen, zwei Millionen aus dem Kulturbudget. Dass eine Wohnbauförderung an diesem zentrumsnahen Standort nicht nötig ist, um die Wohnungen zu verwerten, liegt auf der Hand. Hier könnte man die De-facto-Übernahme des Verwertungsrisikos durch die Stadt noch mit sozialer Durchmischung verteidigen. Der Mix von 49 geförderten und 21 frei finanzierten Wohnungen ist so aber nicht zu begründen. Noch heikler ist die hohe Förderung aus dem Kulturbudget: Würde diese nicht höchste Qualität in der architektonischen Umsetzung und ein ausgereiftes Betriebskonzept für den Saal voraussetzen?

In beiden Punkten schneidet das Projekt denkbar schlecht ab. Mit tatkräftiger Unterstützung des Denkmalamts wurde zwar der Saal blitzblank und goldglänzend rekonstruiert. Er sieht aus wie neu und ist es auch: 90Prozent des Stucks sind neue Ware. Geschichtliche Spuren wurden zugunsten eines scheinbaren Urzustands ausgelöscht. Die Übergänge zwischen Alt und Neu wirkeneher zufällig als geplant, die Details billig. Die künstlerischen Interventionen, etwa Erwin Wurms Würstelmänner, die in einigen Nischen im Saal die früheren Engelsfiguren ersetzen, sind provokant gemeint, wirken in diesem Umfeld aber wie eine Faschingsdeko.

Und was wird hier passieren? Für die Kulturförderung reichte ein sehr schwammiges Konzept der Soravia'schen Kunststiftung SoArt aus, das vom Design bis zur Literatur alles Mögliche und mit den Nachbarn Verträgliche verspricht. Ein Programm ist das nicht, und es ist zu befürchten, dass hier vor allem Firmenfeiern und Promo-Events stattfinden werden. An eine Alternative zu dieser verunglückten Rekonstruktion wollte offenbar niemand denken: ein neuer, multifunktionaler Saal ohne Blattgold, der den Geschichtsfadenweiterspinnt, statt die Geschichte auszulöschen. Wien hat sich, wie schon bei den Redoutensälen, wieder einmal für die Vergoldung der Asche entschieden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2013)

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