Mehr als nur Schule

Wenn Lehrer gerne länger als nötig in der Schule bleiben. Gabu Heindl verschaffte dem BG Zehnergasse in Wiener Neustadt nicht nur die geforderten zusätzlichen Räume, sondern auch neue Nutzungsmöglichkeiten.

In einer Schule, die auch einen Zweig als Sportrealgymnasium führt, mag es nicht verwunderlich sein, trotz der bekannt sparsamen Budgets im Schulbau einen bestens ausgestatteten Fitnessraum vorzufinden. Die Geräte wurden von einer Firma gesponsert. Gut, das zeugt von Eigeninitiative und Geschick der Verantwortlichen. Blasses Erstaunen allerdings dann, als Direktor Werner Schwarz erläutert, wie, wann und von wem der „Fitness & Health Club“ genutzt wird. Er dient nämlich nicht nur dem Sportunterricht an der Schule, sondern er kann außerhalb der Kernunterrichtszeiten einmal die Woche sogar bis 22 Uhr von allen Schülern, Lehrern, Eltern und Absolventen, die gegen einen höchst moderaten Mitgliedsbeitrag Klubmitglieder werden können, genutzt werden.

Noch die Klagen angesichts der Mehrstunden, die dem Lehrpersonal das neue Dienstrecht beschert, im Ohr, ein kaum für möglich zu haltendes Angebot. Die Lehrergewerkschafter können beruhigt sein, die Trainings betreuen nicht die Kollegen, sondern Schülerinnen und Schüler, die im Zuge des Unterrichts eine Zusatzausbildung als Fitnessinstruktor erwerben können und somit an der Schule ihre ersten Jobs ausüben können.

Was das alles in einem Architekturbericht verloren hat? Allerhand. Der Fitnessklub ist nur eine Facette im Spektrum der Zugewinne, die das BG Zehnergasse in Wiener Neustadt seit der Erweiterung nach Plänen der Wiener Architektin Gabu Heindl verzeichnen kann. Er zeigt aber sehr gut auf, dass ein Raumprogramm nicht alles ist und dass die Architektenaufgabe mehr sein kann, als es möglichst ansehnlich zu erfüllen.

Containerklassen und Wanderklassen gehörten jahrelang zum Schultag. Akuter Platzmangel, nicht das Bedürfnis nach einer großzügigeren Ausstattung, war daher Anlass für die Bundesimmobiliengesellschaft, einen geladenen Wettbewerb für die Erweiterung der Schule um acht weitere Klassenräume und eine Normturnhalle auszuloben. Der Bestand stammt aus dem 1960er-Jahren, ist ein Spätwerk von Theiß & Jaksch und wurde 2002 von deren Nachfolgebüro Schwalm-Theiss & Gressenbauer saniert. „Unter Schonung des Bestandes“ soll die Erweiterung erfolgen, hieß es in der Ausschreibung.

Siegerin Gabu Heindl hat dies befolgt, indem sie den offenen Kreuzgrundriss der Schule weiterführt und es vermeidet, formal in Konkurrenz zu treten. Keineswegs geschont hat sie sich allerdings selbst in der Ambition, ein möglichst modernes, für neue pädagogische Konzepte taugliches Raumgefüge anzubieten. In einem zweigeschoßigen und damit gegenüber dem Bestand niedrigeren Baukörper ordnete sie die geforderten Klassenräume an. Leicht aus der rechtwinkeligen Ordnung des Bestandes gedreht, bildet der neue Trakt mit den bestehenden Flügeln einen zur Umgebung wie zur Sonne geöffneten Hof und bricht zudem die Linearität der langen Gänge. Terrassen auf allen Ebenen und Holzflächen, die in der Art von Tanzböden in die Gartenfläche eingelassen sind, machen ihn zum vielfältig nutzbaren Lern- und Aufführungsort im Freien.

Er ist einer von fünf Schulhöfen, auf denen sich die über 900 Schülerinnen und Schüler gut für die diversen Aktivitäten verteilen lassen. Ein weiterer neuer Hof entstand zwischen altem und neuem Turnsaaltrakt. Hier wurde der Sportbelag der Freianlage weitergezogen und das Ganze mit einer Pergola überdacht. Auf dem Boden werden in Zukunft wetterfeste Koordinationsgeräte wie zum Beispiel Wippen ein von allen nutzbares Zusatzangebot bereitstehen. Etwas höher gelegen sollen Slacklines den Unterricht um Balancierübungen ergänzen, und ganz oben sind die schuleigenen Kletterer gefragt, die für den Projektunterricht die Pergola dank vorbereiteter Ösen zum Hochseilgarten verwandeln.

Das alles war im Anforderungsprofil nicht vorgesehen. Möglich wurde es sowohl dank eines effizient und wirtschaftlich umgesetzten Raumprogramms als auch in Folge eines intensiven Dialoges, den die Architektin auf eigene Initiative in Form von Workshops mit hundert Lehrern und den Schülerinnen und Schülern führte, um die Bedürfnisse auszuloten und das Wettbewerbskonzept dahin gehend zu schärfen.

Wenn von wirtschaftlicher Umsetzung die Rede ist, heißt das nicht, dass das Innere nicht mehr bietet als entlang schmaler Gänge aufgefädelte Normklassenzimmer. Diese Art von Effizienz, wie sie in den meisten Schulen nach wie vor vorhanden ist, weist zwar der Bestandsbau auf, bei dem die Klassentrakte von den drei Aulen im Zentrum wegführen.

Gabu Heindl erdachte für den neuen Klassentrakt vielfältigere und vielfältiger nutzbare Raumfolgen. Der Erschließungsbereich ist kein enger Gang mehr, sondern zur Pausenfläche aufgeweitet, in der Sitzbänke, Garderobenschränke und Trinkbrunnen Platz finden. Die neue Bibliothek im Erdgeschoß liegt an zentraler Stelle nächst der Aula, ist gut einsehbar und an die Terrasse angebunden.

Jeweils zwei Klassen können mit dem dazwischenliegenden Modulraum, einem kleineren Arbeits- oder Besprechungsraum, dank mobiler Trennwände zu größeren Raumgefügen verbunden werden. Bis zu 160 Quadratmeter große Räume können somit entstehen, was die Möglichkeiten innerhalb der Schule ohne zusätzlichen Raumverbrauch enorm erhöht. Breite, tiefe Fenster bieten nicht nur Aussicht, sondern sind zugleich gern genutzte Sitznischen.

Auch Verwaltungstrakt mit Konferenzzimmer in einem Bestandsflügel galt es um 100 Quadratmeter zu vergrößern. Indem Wände aufgebrochen und Räume mit dem Gang gekoppelt wurden, ist das Konferenzzimmer nun ein durch Pfeiler gegliederter Großraum. Es ist nichts Neues, dass die Schularchitektur viel zum Klima an einer Schule beiträgt.

Wie sich aber auch am BG Zehnergasse zeigt, sind dazu nicht nur zahlungsfähige Bauherren und ein guter Entwurf notwendig. Es braucht auch ein gemeinsames Wollen und Zusammenwirken von Architekten, Direktion, Lehrern, Schülern bis zum Elternverein. Am BG Zehnergasse scheint dies gut funktioniert zu haben. Jedenfalls bleibennun mehr Lehrer länger an der Schule als zuvor, erzählt Direktor Schwarz. Ein im Sinne der anstehenden Schulreformen wünschenswerter Nebeneffekt – und wohl auch ein Kompliment für die Architektin. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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