Erbe, saniert und adaptiert

Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet: die neue Durchwegung bei der Universitätszahnklinik Wien.

Der Umgang mit dem architektonischen Erbe Wiens ist, man muss es leider sagen, nicht immer vorbildlich. Gnadenlos wird zurzeit das architektonische Tafelsilber verscherbelt: Öffentlich genutzte Bauten wie Postfilialen, Finanzämter, Gerichtsgebäude und Bankzentralen werden Developern anheimgegeben, die sie zu Drittwohnsitz-Penthouses und Luxushotels umwidmen. Zuvor Öffentliches wird privat, exklusiv, unzugänglich – seiner ursprünglichen Nutzung beraubt und de facto oft leer stehend. Umso erfreulicher sind die positiven Beispiele zeitgemäßer Restaurierung, Sanierung, Adaptierung und Weiternutzung historischer Bausubstanz. Der im letzten Jahr fertiggestellte Umbau des historischen Garnisonsspitals zur Universitätszahnklinik in Wien-Alsergrund ist eines davon.

Fest steht: Die Aufgabe des Bauens im Bestand wird an Umfang und Bedeutung noch wesentlich zunehmen – und damit die Anforderungen an Architektur, sich mit den Gegebenheiten historisch gewachsener Gefüge auseinanderzusetzen. Eines der größten dieser über Jahrhunderte gewachsenen Gefüge im Zentrum Wiens ist der Komplex des Alten AKH mit den angrenzenden Gebäudegruppen des Josephinums und des ehemaligen Garnisonsspitals sowie dem Narrenturm im Zwickel zwischen den beiden von den damaligen Basteien Wiens entlang der Achsen Alser Straße und Währinger Straße abgewinkelten Bereichen.

Während das Alte AKH, im 17. Jahrhundert als Armenhaus begründet, unter Joseph II. nach dem Vorbild des Pariser Hôtel-Dieu zum Allgemeinen Krankenhaus umgebaut wurde, plante man Narrenturm, Josephinum und Garnisonsspital als Neubauten. Architekt des gesamten Komplexes war Isidor Canevale, 1730 in Vincennes bei Paris geboren und 1760 nach Wien zugezogen. Er war der richtige Mann für Joseph II, der, wenn er seine Schwester Marie Antoinette in Paris besuchte, dort die Anfänge des keineswegs politisch, wohl aber architektonisch heute zu Recht so bezeichneten Revolutionsklassizismus kennengelernt hatte. Josephsstöckl und Portalbauten im Augarten, Grassalkovich- und Schönborn-Palais, Prater-Lusthaus, Kleine Gloriette, die Schlossparks in Rodaun und Laxenburg folgten, außerdem bemerkenswerte frühklassizistische Kirchenbauten wie der Dom im ungarischen Vác und die elegante kleine Pfarrkirche Maria Schnee in Wiener Neudorf. 1775 wurde Canevale Hofarchitekt.

Die Jahre 1783–1784 waren für den ambitionierten Zuwanderer von höchster Produktivität geprägt: Gleichzeitig plante und realisierte er Allgemeines Krankenhaus, Narrenturm, Garnisonsspital und Josephinum – die beiden Ersteren für die Unterbringung Kranker, die Letzteren für das Militär und die Ausbildung von Wundärzten konzipiert. Während sich die Militärchirurgische Akademie, das heutige Josephinum, als repräsentatives spätbarockes Palais mit einem Ehrenhof zur Währinger Straße öffnet, gibt sich das dahinter an der Van-Swieten-Gasse liegende Garnisonsspital als eher schmuckloser Zweckbau mit langgestreckten Trakten rund um zwei große Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“.

Der etwas kleinere Kräuterhof, von drei Trakten des Garnisonsspitals und der Rückseite des Josephinums gerahmt, nahm ursprünglich den botanischen Heilpflanzengarten der Militärchirurgischen Akademie auf – einst ein unverzichtbarer Bestandteil jeder medizinischen Ausbildungsstätte. In den letzten Jahren wurde der Komplex des Garnisonsspitals vom Büro Nehrer + Medek und Pohl ZT GmbH zur Universitätszahnklinik umgebaut, mit Ausbildungs- und Behandlungsräumen, Festsaal, Bibliothek, Kindergarten, ins Souterrain eingetieften Hörsälen und einer Cafeteria mit Schanigarten. Dazu wurde der historischen Struktur eine Glasspange entlang dem Trakt zwischen den beiden Höfen vorgelegt, die das gesamte Gelände von der Sensengasse her erschließt. Tagsüber fungiert diese Spange auch als eine Art Durchhaus zwischen Sensengasse und Van-Swieten-Gasse. Eine weitere neue Durchwegungsmöglichkeit des weitläufigen Geländes besteht von der Währinger Straße aus, wo dasselbe Architekturbüro im Rahmen eines weiteren Wettbewerbs den Neubau der Informatik- und Publizistik-Institute der Universität Wien realisierte.

So wurden auch beide historischen Höfe als Grünzonen im Stadtgefüge öffentlich zugänglich. Die Neugestaltung und Adaptierung an die gegenwärtigen Anforderungen lagen bei der Landschaftsarchitektin Anna Detzlhofer. Der alte Baumbestand blieb erhalten. Das neue Gestaltungskonzept Anna Detzlhofers nimmt auf die historischen Wegestrukturen in abstrahierter Form Bezug und kombiniert sie mit einfachen Diagonalverbindungen zwischen den neu geschaffenen Zugängen.

Der Kräuterhof blieb mit seinen vielen hohen Bäumen ein intimer Grünraum. Neu angelegt wurde ein zum angrenzenden Kindergarten gehörender Spielplatz, außerdem ein Vorplatz vor der Treppe zum Festsaal der Medizin-Universität. Kleine Rasenböschungen mit korrodierten Stahlblecheinfassungen modulieren das Gelände und schaffen topografisch unterschiedliche Zonen.

Als großzügige Parkfläche fungiert hingegen der benachbarte Garnisonshof. Eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse dient als sonniger Gastgarten der Cafeteria. Die neue Wegeführung markiert auch den Ort der nicht erhaltenen Kapelle, mit der Canevale einst die Mitte des leicht trapezförmigen Hofes markiert hatte. Heckensegmente sind konzentrisch rundherum verteilt; auch die schlichten blockartigen Metallsitzbänke mit integrierter indirekter Beleuchtung, die das zentrale Rondell säumen, folgen dem Leitmotiv des Kreisschwungs. Schlanke zylindrische Metall-Leuchtstelen flankieren die Wege in beiden Höfen. Zwischen den separat stehenden alten Bäumen sind einzelne Zonen zwanglos mit Gräsern, Sträuchern und Blütenstauden bepflanzt.

Entstanden ist ein für alle nutzbarer Ort, an dem man sich gerne aufhält, den man gerne auch nur durchquert, um im Vorbeigehen einen Eindruck von leichtem, luftigem Grün mitzunehmen. Ein Ort, der, ganz natürlich in seiner zeitgenössischen Gestaltung, eine funktionierende Synthese mit den umgebenden historischen und neuen Bauten bildet. Das ist das Beste, was man von einer städtischen Struktur verlangen kann. Und gleichzeitig das Selbstverständlichste. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2014)

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