Golden Nugget, weicher Kern

In der Außenansicht verschlossen, innen höchst variantenreich: Nach etlichen Jahren gelang es PPAG, ein Europan-Projekt von ehedem zur Reife zu führen. Nachrichten aus der Simmeringer Fickeystraße.

Die Wohnbauten des von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründeten Architektenteams PPAG zeichnen sich stets durch äußerst eigenständige Raumkonfigurationen aus. Dies war schon so bei einer ihrer ersten größeren Arbeiten in einem Hinterhof an der Praterstraße, wo sie durch das geschickte Verzahnen der Wohnungen Räume unterschiedlichster Charakteristikzuwege brachten. Beim Wohnriegel am Rudolf-Bednar-Park mit den signifikanten pinkfarbenen Balkonbrüstungen oder dem Wohnhof Orasteig in Floridsdorf – beide 2009 fertiggestellt – sind ihnen Raumzuschnitte gelungen, die üblicherweise in der Rationalität des geförderten Wohnungsbaus schwer durchzusetzen sind.

Mittlerweile ist auch jener Wohnbau von den Mietern bezogen, mit dem sie 2001 beimEuropan-Wettbewerb, einer internationalen Konkurrenz für Architekten unter 40, am Standort in der Fickeystraße in Wien-Simmering den Sieg davontrugen. Die Realisierung zog sich hin, obwohl damals von Beginnan alles auf Schiene zu sein schien. Bereits im Vorfeld kooperierte Europan Österreich mit der Bauträgerfirma Mischek, die das Grundstück zur Verfügung stellte, den Wettbewerb finanzierte und schließlich die Absichtserklärung gab, das ungewöhnliche und anspruchsvolle Projekt zu realisieren. PPAG bebauten als einzige Teilnehmer die gesamte Grundstücksfläche mit dem maximal möglichen Bauvolumen und schnitzten dieses unter Berücksichtigung der Belichtung der Nachbargebäude, der Aussicht und bestimmter Freiraumkonditionen zu. Das daraus entstandene kristalline Gebilde nannten sie im Wettbewerb „golden nugget“, das sich aus einer äußeren Schicht aus Wohnungen und innen liegender Mischnutzung zusammensetzte. PPAG kritisieren mit dieser Art der Formfindung die Blockrandbebauung als gängige Praxis innerstädtischer Bebauungsplanung als überholt: „Eine grundrissgrafische Auffassung von Stadtraum und damit die Vorwegnahme von späteren Planungsprämissen kann den vielfältigen Qualitätsanforderungen an Immobilien nicht gerecht werden“, formulierten sie.

Zwar wurde damals in der Jury die Frage nach der Relevanz von Megastrukturen gestellt und auch angemerkt, dass „dem Projekt ein Autismus inhärent“ sei. Man betonte aber auch, dass kein anderes Projekt im Wettbewerb sich tiefgründiger mit dem Wohnen auseinandersetze als dieses, dem man Entwicklungsfähigkeit und mögliche Veränderbarkeit im Realisierungsprozess attestierte.

Diese von der Jury angesprochenen Stärken wurden dann tatsächlich einer ziemlichen Belastungsprobe unterzogen. Gemeinsam mit der Bauträgerin wurde das Projekt vertieft, um als Grundlage für die Erstellung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zu dienen. In der Folge erwies sich allerdings bald der vorgesehene Nutzungsmix, der auch große Geschäftsflächen enthielt, als unrealistisch. Die Investoren sahen ob des hohen Konfliktpotenzials zwischen Wohnungs- und Gewerbemietern ganz und gar keinen Goldklumpen, sondern ein Risiko undwollten es wegen zu geringer erwartbarer Renditen nicht finanzieren.

Im Grundstücksbeirat wiederum blitzte das Projekt wiederholt, unter anderem wegen zu vieler nach Norden orientierter Wohnungen, ab. Zudem änderte sich nach einem Verkauf der Bauträgerfirma die Bauherrschaft. Dass so manche Überlegung aus dem Wettbewerb auf dem Weg zu Realisierung verlorenging, ist daher kein Wunder, dass das Projekt in seiner formalen Grundkonzeption jedoch sehr wohl realisiert werden konnte, spricht hingegen nicht nur für die Robustheit des Konzepts, sondern auch für jene von Popelka und Poduschka.

Anstatt eines bunten Nutzungsmixes wurde es nun ein monofunktionaler „Wohnhügel“, bei dem die rund 230 Wohnungen als „Kruste“ um die innen liegenden Erschließungszonen angeordnet sind. Als einzige Nichtwohnnutzung gibt es einen sechsgruppigen Kindergarten im Erdgeschoß, der sich über einen dreigeschoßigen Luftraum mit den Wohngeschoßen verschränkt und zusätzliches Tageslicht aus dem Atrium bezieht.

Durch die standortspezifisch modellierte Außenform entstanden abwechslungsreiche Raumsequenzen. Direkt an die Atrien angegliedert sind alle Gemeinschaftsflächen wie Wintergarten, Indoor-Spielplätze, Waschküchen oder Kinderwagenabstellräume. Mannigfaltige Durchblicke von Geschoß zu Geschoß tun sich im internen Netz aus Gassen und Plätzen auf. Ebenso reich ist die Varianz der Wohnungen, die im geförderten Wohnungsbau ihresgleichen sucht. Pragmatiker, denen an möglichst neutral angelegten Wohnungen gelegen ist, mögen sich daran stoßen. Entgegenhalten kann man, dass diese besonderen Wohnungen, darunter auch Maisonetten mit überhohen Räumen und Galerien, die etwa als Kinderspielfläche dienen können, ein sehr spezifisches Angebot bereitstellen, das aus dem Einheitsbrei ausbricht.

Temporäres Wohnen ist in meist drei Wohnungen pro Geschoß in möblierten „Heimwohnungen“ möglich, weiters werden Einheiten auf zwei Ebenen und mit zwei Eingängen angeboten, in denen sich die Wohn- und Arbeitsstätte koppeln lassen. Für Außenbeziehungen sorgen einerseits die Loggien, die jeder Wohnung über die gesamte Wohnungsbreite als private Freiflächen zugeordnet sind, aber auch die zum internen Wegesystem hin orientierten Küchenfenster, die – wenn von den Bewohnern nicht verbarrikadiert, sondern klugerweise mit Jalousien versehen – für Belichtung sorgen und auch Aus- wie Einblick gewähren können.

Im Grunde passt die neuerdings gern verwendete Metapher vom Dorf im Haussehr gut auf die Anlage, deren aufgeweiteten Gangbereiche sich als soziale Treffpunkte anbieten und über deren Gemeinschaftsraumnutzung die Bewohnerschaft höchst engagiert via Internetplattform entscheidet. Nach außen hin sind die räumlichen und gemeinschaftlichen Potenziale nicht sichtbar, auch das Geschehen auf den privaten Loggien, wird gut abgeschottet. Da wird der Wohnhügel zum für Außenstehende neungeschoßigen Wehrdorf, was in dieser Lage zwischen der Straßenbahnremise Simmering und der von Josef Frank und Oskar Wlach geplanten Großwohnanlage des Rosa-Jochmann-Hofs aus den 1930ern auch eine durchaus angemessene städtebauliche Reaktion ist. Freundlich kommuniziert wird lieber nach innen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)

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