Spare in der Not?

Neue Wirtschaftlichkeit oder Armseligkeitsgebot? Anmerkun-gen zum sozialen Wohnbau – und zu einem aktuellen Vorschriftenkatalog aus Oberösterreich.

Wem würde es heute noch einfallen, an der Wahrheit des branchenübergreifend allgegenwärtigen Satzes: „Wirhaben kein Geld“ zu zweifeln? Und wie sollte ein Mangel, der vom beständigen Anziehen der Abgabenschraube über Sparmaßnahmen im Bildungswesen bis zum Zurückfahren der Entwicklungshilfe offenbar so vieles begründet, vor dem geförderten Wohnungsbau haltmachen?

Wer wollte es also Manfred Haimbuchner, dem oberösterreichischen Landesrat für Wohnbau, Naturschutz und Sparkassenaufsicht verdenken, wenn sein Ressort einen Standardausstattungskatalog gebiert, dessen Umsetzung in den grundlegenden Funktionen des Wohngebäudes zu gravierenden Einsparungen führen kann, ohne die Qualität des Wohnens selbst negativ zu beeinflussen?

Lesen wir doch das Papier – die Ausschnitte sind kursiv geschrieben –, während wir uns einen Wohnbau der letzten Jahre anschauen. Etwa die 2012 fertiggestellte Anlage der GWG an der stark befahrenen Linzer Humboldtstraße. Das in Linz ansässige Büro R2 Architekten hat die beiden einander gegenüberliegenden Häuser geplant. Sie fassen neben 28 Mietwohnungen eine Kinderbetreuungseinrichtung und eine Tiefgarage. Beide Häuser haben sechs oberirdische Geschoße. Das ist gut, denn es sind grundsätzlich mindestens drei oberirdische Geschoße ohne Dachgeschoß, also EG + 1.OG +2.OG + allfälliges Dachgeschoß zu errichten. Ob das Zurücksetzen der Dachgeschoße in Zukunft gestattet wäre? Kann doch der Ausnahmefall, im Randbereich des Grundstückes an eine vorhandene, niedrigere Bebauunganzugrenzen, hier nicht bemüht werden. Die zweigeschoßige Nische, mit der das Haus Humboldtstraße 3a und 5 dem Kindergarten eine witterungsgeschützte Haltebucht einräumt, ist dann mit Sicherheit nicht mehr genehmigungsfähig. Große Vor- und Rücksprünge in der Fassade sind zu vermeiden.

Auch der seichte Glaserker im ersten Obergeschoß, aus dem die Kinder Ausschau in den Straßenraum halten können: verboten. Glasflächen, für deren Reinigung technische Hilfsmittel wie Hebebühnen, Steiger und dgl. erforderlich sind, dürfen nicht ausgeführt werden. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass Teile des Glases bedruckt oder gar emailliert sind; ein Luxus, den die neuen Richtlinien unterbinden werden. Aber wozu sich mit Kleinigkeiten am Rande aufhalten? Die Fassaden beider Häuser sind mit metallisch schimmernden Platten belegt. Mit dieser robusten und relativ leicht zu säubernden Hülle gelingt zwar das Kunststück, dem bislang von Sexshops und Wettspelunken geprägten Straßenzug ein Stück seiner ursprünglichen Gediegenheit zurückzugeben. Doch was zählt schon die beharrliche schrittweise Reparatur innerstädtischer Problemquartiere! Vorgehängte Außenwandverkleidungen mit Blech, Keramik usw. dürfen nicht ausgeführt werden. Fassadenbegrünungen– an den Hofseiten gesichtet! – dürfen nur in Ausnahmefällen (Vorgabe der Baubehörde) ausgeführt werden.

Immerhin haben die R2 Architektenselbst im Licht der neuen Standards einiges richtig gemacht: Einfache, funktionale Grundrisse sind zu planen; auf die Verwendung von Standardmöbeln ist zu achten. Auf ein einfaches statisches Konzept in wirtschaftlicher Hinsicht ist zu achten. Eine Teilunterkellerung ist anzustreben. Die hierum fünf Zentimeter überschrittene Ausführung der Raumhöhen von 250 cm ist in anderenBundesländern üblich undsollte nicht das große Problem sein. Aber: Passivhausqualität?! Dämmstärken nur in jenem Ausmaß, wie dies zur Erreichung des vorgegebenen Mindestenergiestandards notwendig ist. Gingen wir in diesem Sinn weiter durch die Häuser, die in aller Bescheidenheit ihren Bewohnern Raum, Licht und Luft einräumen, wir fänden mit Sicherheit noch zahlreiche weitere Verstöße gegen das neue oberösterreichische Armseligkeitsgebot, das – selten wirkt das Wort so drohend – offen ist: allfällige Ergänzungen bzw. Änderungen werden bei Bedarf vorgenommen.

Und wir haben uns noch nicht mit Wege zur Wirtschaftlichkeit II befasst! Hier wird nun endlich in Zahlen gegossen, woran sich Generationen von Architektinnen und Architekten scheinbar erfolglos abgemüht haben. Der wahre soziale Wohnungsbau lässt sich nämlich, jawohl, berechnen! Aus dem Verhältnis von Flächen – den nutzbaren und den allgemeinen, den Dachflächen, Fensterflächen, Fassadenflächen und so weiter – zueinander; in steter Rückkoppelung mit der Anzahl der Wohneinheiten. Für die Zuordnung zu einer Größenklasse gilt die Anzahl der baubewilligten Wohnungen unabhängig von der zuerrichtenden Anzahl von Baukörpern. Viel Freude beim Entwerfen! Schon möglich, dass solche Rahmenbedingungen zu kreativen Höhenflügen inspirieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der soziale Wohnungsbau nun endgültig den kulturell weniger zimperlichen Bauträgern mitsamt ihren Planern überlassen werden wird, ist allerdings größer; und der Verdacht, dass der Anstrengung nicht einmal aus wirtschaftlicher Sicht Erfolg beschieden sein wird, leider mehr als berechtigt. Keller und Tiefgarage: kein Wand- und Deckenanstrich.

Glaubt wirklich jemand, mit Repressalien dieser Art das Ruder der Kostenentwicklung herumzureißen, sodass Wohnen leistbar bleibt? Ist schon jemand auf die Idee gekommen, sich dem Thema ein wenig umfassender und womöglich unter Einbeziehung der Expertinnen und Experten, der verantwortungsbewussten Bauträger und der Architektenschaft nämlich, zu widmen? Sieht jemand den Zusammenhang zwischen der Qualität innerstädtischen Wohnungsbaues und dem auch ökonomisch längst nicht mehrverkraftbaren Anwachsen der Speckgürtel? Wie wäre es, die verfügbaren Fördermittel gezielt gegensteuernd einzusetzen?

Denn für mich steht hier der Mensch im Mittelpunkt. Ist das Quartier, das den Einkommensschwächsten täglich ihre Armut vor Augen stellt, nicht eher ein Pulverfass als ein Mittelpunkt? Niemand, der auch nur im Entferntesten die Wahl hat, wird freiwillig in die auf unbewehrten, unverputzten Teilkellern mit Schwindrissen ruhenden und in jeder Hinsicht auf das Geringste heruntergerechneten kompakten Baukörper ziehen. Die mäßige Bepflanzung der Restflächen und die Außenbeleuchtung: Minimalausführung werden daran nichts ändern. Wir sind hier die Avantgarde des österreichischen Wohnbaus. Um einen solchen Anspruch stellen zu können, Herr Landesrat, mussman mehr leisten, als auf den Stapel bereits geltender Normen ein weiteres Regelwerk zu legen, in dem vor allem eines zum Ausdruck kommt: das tiefe Missverständnis, Baukultur mit Luxus gleichzusetzen. Die Frage, wie man Steuermittel klug und zur Mehrung des Allgemeinwohls einsetzen kann, ist auch im sozialen Wohnungsbau höchst komplex. Doch wer auf Weiterwursteln setzt, riskiert, dass demnächst jemand unter lautem Hallo verdammt einfache Antworten gibt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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