Volle Kraft – mit 900 Watt?

Nach der Glühbirne wird nun dem Staubsauger der Kampf angesagt: Eine neue EU-Ökodesign-Richtlinie verbietet ab 2017 gewöhnliche Powerstaubsauger, erlaubt sind nur noch umweltgerechte Geräte. Und wo sind die anderen innovativen Ideen hin?

Unsere Staubsauger werden ökologisch. Eine neue Ökodesign-Verordnung tritt in Kraft. In Zukunft dürfen nur Staubsauger in der EU verkauft werden, die den Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung von energiebetriebenen Produkten genügen. Alte Staubsauger dürfen weiterverwendet, schon produzierte Staubsauger abverkauft werden. Ob die EU-Bürgerinnen und -Bürger, wie bei den Glühbirnen, Panikkäufe tätigen und sich ein grauer Markt mit hohen Preisen für „Powerstaubsauger“ bildet? Staubsaugerkontrollen in Haushalten sind nicht geplant.

Der dringend nötige Übergang in eine „Low Carbon Society“ fällt uns schwer. Schmutzig wird diese Zukunft auch noch weiterhin sein, denn mit 900 Watt sind hochflorige Designteppiche ab 2017 sicher nicht sauber zu bekommen. Sauber aber soll die Atmosphäre werden: von klimaschädlichen Treibhausgasen, unsere Flüsse sollen befreit von fortschreitender Überdüngung, und die Atemluft soll von Schwefeldioxid befreit werden. Die Ökodesign-Richtlinie bezieht ihre Legitimation aus der langfristigen Klimapolitik der EU. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts soll der Ausstoß an Treibhausgasen um 80 Prozent (gegenüber 1990) gesenkt werden.

Seit 2005 gibt es allgemeine Ökodesign-Anforderungen, welche die Umweltverträglichkeit von Produkten in der EU regeln und den gesamten Lebenszyklus umfassen. Berücksichtigt werden Auswahl und Einsatz von Rohmaterial, Fertigung, Verpackung, Transport, Vertrieb, Installierung, Wartung, Nutzung und am Ende die Entsorgung. Für jede dieser Phasen wird – soweit relevant – der Verbrauch an Material, Energie und anderer Ressourcen (wie zum Beispiel Frischwasser) erhoben und die Immissionen in Luft, Wasser und Boden errechnet. Auch physikalische Einwirkungen wie Lärm, Schwingungen, Strahlung und elektromagnetische Felder, die Menge an voraussichtlichen Abfallstoffen und die Möglichkeit des Recyclings und der Verwertung von Material und/oder Energie gehören zu den wesentlichen Umweltaspekten.

Die Feststellung, ob Ökodesign erfolgreich umgesetzt wurde, kann dann durch weitere Kriterien, wie den Anteil an verwendetem Recyclingmaterial, die Vermeidung von gesundheits- oder umweltschädlichen Stoffen, eine hohe Produktlebensdauer, die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, die Verwendung gebrauchter Teile oder eine Bauweise, die das Recycling von Bauteilen durch einfache Zerlegbarkeit vereinfacht, festgelegt werden. Die Ökodesign-Richtlinie der EU berücksichtigt zukunftsfähige Designparameter umweltgerechter Gestaltung, wie sie vor rund 20 Jahren als „Ecodesign“ noch im Schatten einer verschwenderischen Wegwerfkultur bekannt wurde. Die Anforderungen an Ökodesign sind: Transparenz über die Umweltauswirkungen und Alternativen zur Produktverbesserung. Angesichts des naiven Fortschrittsglaubens, den die Industrie an den Tag legt, ist die Ökodesign-Richtlinie sicher ein relevanter Beitrag zum positiven Wandel. Seit den Sechzigerjahren ist die Maximalleistung von Staubsaugern von 1000 Watt auf über 2500 Watt angestiegen, am Anfang etwas flacher, dann immer steiler. So hat man sich von der Wirtschaftswunderzeit bis heute Fortschritt vorgestellt: immer mehr, immer höher, immer schneller. Aber auch immer bunter.

Heute gibt es eine riesige Auswahl an Staubsaugern, die Zielgruppen nicht nur über die Leistungsaufnahme, sondern auch durch ihr Design anpasst werden. Starke Kompressormotoren arbeiten in den stromlinienförmigen Karosserien in Metallic-Lackierungen. Beleuchtete Einparkhilfen gibt es bei Staubsaugern ebenso wie die Bedienung von wichtigen Funktionen vom Griff aus. Digitale Displays warnen vor Motorüberhitzung, in dunklen Ecken dreht man das LED-Fernlicht auf. Die Designstaubsauger haben verchromte Luftauslässe und Bedienelemente als Sonderausstattung. Es wird Zeit, dass in Designabteilungen der großen Gerätehersteller neue Bilder zur Inspiration kommen. Autodesign ist als Vorbild wohl kaum brauchbar. Uns Konsumierenden sollte es komisch vorkommen, wenn wir uns von so viel Einfalt zum Kauf bewegen lassen. Aber was ist zeitgemäßes Staubsaugerdesign? Die Jury eines internationalen Designpreises formulierte: „Eine stringente Linienführung prägt das Gesamtbild des Staubsaugers, der durch Bedienkomfort und Funktionalität überzeugt.“

Dieser preisgekrönte Staubsauger mit hoher Saugleistung und niedrigem Geräuschpegel, farblich abgesetztem Schalldämpfer im Ausblasbereich, integrierten Stoßleisten zur Schonung von Wänden und Möbeln und viel Mobilität durch 360-Grad-Kugelgelenk darf ab 1. September nicht mehr hergestellt werden. Das war's mit innovativ und in die Zukunft gewandt. Dabei verpflichteten sich die renommierten Fachleute aus aller Welt, die hohen Designansprüche des Wettbewerbs und das hohe Qualitätsniveau zu garantieren, darunter auch die ökologische Verträglichkeit. Waren Designwettbewerbe anfangs von gesellschaftlicher Veränderung beseelt, huldigen sie heute nur dem schnellen Profit der einreichenden Unternehmungen und einer oberflächlichen Idee vom „guten Design“.

Ökodesign-Verordnungen kommen nicht überraschend, die Industrie sitzt mit am Verhandlungstisch. So ist es nicht verwunderlich, dass von den dringend umzusetzenden Ökodesign-Maßnahmen nur der Energieverbrauch, die maximale Leistungsaufnahme und die Saugwirkung geblieben sind. In drei Jahren kommen Staub- und Geräuschemission, Motorlebenszeit und die Belastbarkeit des Schlauches dazu. Ob dann die nötige Flexibilität des Schlauches über gefährliche Weichmacher erreicht wird, wird nicht vorgeschrieben, obwohl es in der Richtlinie schon verankert und einfach möglich wäre.

Wegdiskutiert wurden offenbar auch die Verbesserung der Recyclingfähigkeit, die Reparierbarkeit, der Einsatz von recycelten Materialien und vieles mehr, das zukunftsfähiges Design auszeichnen würde. Ein auf dem Mistplatz in Wien pflichtschuldig abgegebener Staubsauger wird hauptsächlich in der Müllverbrennung thermisch verwertet. Vielleicht ein Viertel des Materialgewichts landet nach dem Ausbau des Motors in einem Recyclingbetrieb, der Rest schafft den Eintritt in eine Kreislaufwirtschaft nicht. Österreich war 1993 Pionier in der Auslobung eines Ökodesign-Preises, der Bewusstsein für einen Systemwandel schaffen wollte. Die zuständigen Bundesminister Maria Rauch-Kallat (Umwelt), Erhard Busek (Wissenschaft und Forschung) und Wolfgang Schüssel (Wirtschaft) setzten sich für umweltorientiertes Wirtschaften ein. Der Preis wurde vor dem In-Kraft-Treten der EU-Ökodesign-Richtlinie 2001 eingestellt. Kein Interesse der Politik, auch nicht der Industrie. Deutschland versucht mit dem Bundespreis Ecodesign wieder Schwung in die Sache zu bekommen. In den Unterrichtsplänen der Wirtschafts-, Ingenieur- und Designschulen findet man Ökodesign kaum bis gar nicht. Staub drüber. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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