Damals schrieb Hamlet und die Rowdies

Wien, 24. Juni 1864. Amerikanische Theater. Über amerikanische Kunst zu schreiben, ist ein unangenehmes und undankbares Geschäft, das sich nicht der Mühe verlohnen würde, wenn es nicht von größtem Interesse wäre, zu erfahren, auf welcher Stufe in dieser Beziehung ein Volk fortwährend stehen bleibt, das in anderer Hinsicht so staunenswerthe Fortschritte gemacht hat und noch täglich macht.

An einem Februar-Abend hatte ich mir vorgenommen, den „Niblo's Garden“, eines der ersten englischen Schauspielhäuser in Newyork, zu besuchen, in welchem schon seit acht Tagen der berühmteste amerikanische Tragöde, Edwin Forrest, jeden Abend den Hamlet spielte. Die äußerst eleganten, glänzenden und vor allem mit unübertrefflicher Zweckmäßigkeit eingerichteten Räume des Theaters waren bereits dicht besetzt.

Der bunteste und für den Physiognomiker interessanteste Theil des Publicums hauste auf der Galerie. Es waren durchgängig junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren, alle sauber, viele sogar mit tadelloser Eleganz gekleidet, die aber mit den gemeinen, verdächtigen, oft die ausgeprägteste Rohheit zur Schau tragenden Gesichtern stark contrastirte. Es sind Industrieritter aller Art, Gauner,Taschendiebe, Rowdies, Loafers (Tagdiebe), Boxer, Spieler, Politiker – nämlich solche, die ums Geld für jeden Wahlcandidaten agitiren. Doch ist die Galerie auch von jungen Arbeitern, Commis etc. besucht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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