Reden unter Glas

Nach Jahren der Vorbereitung liegt der Entwurf für die Sanierung des Parlamentsgebäudes am Ring vor. Jabornegg/Pálffy beweisen wieder einmal ihre Meisterschaft im Umgang mit wertvoller Bausubstanz.

In Österreich, so heißt es in Artikel eins der Bundesverfassung, geht das Recht vom Volk aus. Diese abstrakte Formel wird konkret im Parlament, wo die Repräsentanten des Volkes sich versammeln, um Gesetze zu diskutieren und zu beschließen. Wie ein Haus aussehen soll, das die repräsentative Demokratie repräsentiert, wirft heute viele Fragen auf. Ist es ein nationales Monument, das die Bedeutung eines Landes nach innen und außen verdeutlicht? Soll es sich offen und transparent geben, um eine entsprechende Politik zu signalisieren? Soll man ihm vielleicht anmerken, dass es das Parlament eines Landes ist, das zur Europäischen Union gehört? Immerhin basieren 80 Prozent der hier beschlossenen Gesetze auf EU-Vorgaben, und die laufende Reform der Geschäftsordnung des Nationalrats sieht vor, den österreichischen EU-Abgeordneten hier ein Rederecht einzuräumen.

Auf den ersten Blick scheint es, dass Österreich sich über diese Fragen keine besonderen Gedanken machen müsste. Wir haben ja ein Parlament, ein schönes und „repräsentatives“ noch dazu, ein Ringstraßenjuwel aus dem Jahr 1883, entworfen von Theophil Hansen. Es handelt sich um ein Meisterwerk des Historismus, in Hansens Lieblingsstil geplant, der griechischen Klassik. Kritiker nannten es bei seiner Eröffnung eine „gefrorene Satire auf die Akropolis“. Zu Unrecht: Hansen war ein hervorragender Baumeister, vom großen Maßstab bis ins feine Detail. Dem Charme des Hauses können sich auch eingefleischte Gegner des Historismus nur schwer entziehen.

Leider ist dieses Haus ziemlich marode, da es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von mehreren Bomben getroffen und durch den folgenden Brand in 60 Prozent seiner Substanz beschädigt wurde. Der Wiederaufbau nach dem Krieg erfolgte mit den beschränkten finanziellen und technischen Mitteln der Zeit. Fünfzig Jahre lang, bis zum Beginn des neuen Jahrtausends, konnte man den Betrieb durch schrittweise Reparaturen aufrechterhalten. Im Jahr 2004 kam es zur bisher umfangreichsten: Die Rampe vor dem Haus wurde komplett erneuert, was dem Haus einen zusätzlichen Eingang an der Ringstraße und ein Besucherzentrum in der Unterkonstruktion verschaffte. 2008 sollte der Plenarsaal an die Reihe kommen. Der Architekturwettbewerb dafür erbrachte zwar ein Siegerprojekt, vor dessen Umsetzung man aber zur Einsicht gelangte, doch besser eine Generalsanierung des gesamten Hauses durchzuführen.

Die Kosten für diese Sanierung wurden zu einem Politikum. Umfangreiche Gutachten ergaben für eine reine Bestandssanierung einen Kostenrahmen von 250 Millionen Euro; für eine „effizienzsteigernde“ Variante mit zusätzlichen Räumen für Ausschüsse und Büros, einer Besuchercafeteria und einem „Ökologiepaket“ zur Senkung des Energieverbrauchs wurden 300 Millionen Euro errechnet, jeweils ohne Mehrwertsteuer und mit einem Spielraum von 20 Prozent nach oben oder unten.

2013 wurden die Generalplanerleistungen für das Projekt ausgelobt. Die zehn aufgrund eines Bewerbungsverfahrens ausgewählten Planerteams hatten unter anderem ein „Qualitätsangebot“ in Form eines detaillierten architektonischen Entwurfs einzureichen. Noch während des laufenden Verfahrens beschloss der Nationalrat eine Budgetobergrenze von 350 Millionen Euro für das Projekt, womit die Finanzierung der „effizienzsteigernden“ Variante gesichert war. Im Juli dieses Jahres fällte eine Jury die Entscheidung für den Entwurf des Planerteams Jabornegg/Pálffy und Axis. Vor drei Wochen konnte das Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Diese Chronologie klingt reibungsloser, als sie sich tatsächlich ereignet hat. Einsprüche von nicht geladenen Architekten und ein Disput über die Vertragsbedingungen, der zum Rückzug von zwei Planerteams führte, sorgten für monatelange Verzögerungen. Die Anzahl der Jurymitglieder wurde kurzfristig auf 24 verdoppelt, da jede politische Fraktion ein weiteres Mitglied entsenden wollte, und damit auch die Zahl der Fachpreisrichter entsprechend erhöht werden musste. Es ist ein Verdienst der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und des Juryvorsitzenden Ernst Beneder, dass am Ende eine einstimmige, von allen Parteien getragene Juryentscheidung erzielt wurde.

Das Siegerprojekt zeichnet sich dadurch aus, dass es Hansen als Architekten des Maschinenzeitalters ernst nimmt. Denn hinter der spielerischen Leichtigkeit des Dekors verbirgt sich bei Hansen eine strenge Rationalität, die den Geist der industriellen Revolution verrät. Die Einbauten von Jabornegg und Pálffy nehmen diesen Geist auf. Sie sind präzise wie neue Maschinenteile in die alte Substanz gesetzt, spürbar vor allem im Besucherfoyer im Erdgeschoß und in den Treppenhäusern, die in bestehende Lichthöfe implantiert wurden. Über dem Plenarsaal wird sich eine Glaskuppel wölben, die die Grenzen des heute statisch Möglichen auslotet. Auf der Ebene darunter liegt eine neu geschaffene, zusätzliche Besuchergalerie mit Blick in den Saal.

Im Plenarsaal selbst regiert weniger die Handschrift der Architekten als jene des Denkmalamts. Der bestehende Saal aus dem Jahr 1956 von Max Fellerer und Eugen Wörle gehört nämlich zu den besten Werken der österreichischen Nachkriegsarchitektur. Bei der Eröffnung urteilte Roland Rainer: „Ein Saal der Arbeit, ernst und klar, fast durchsichtig, sachlich und höchst gediegen. An dieser Arbeit hätte Adolf Loos seine Freude gehabt – er würde wenig anders gemacht haben.“ Den Architekten sei zudem „eine legitime Fortsetzung des Hauptwerks Theophil Hansens“ gelungen.

Zu einer wirklichen Unterschutzstellung, die den Abgeordneten weiterhin enge Sessel zugemutet und eine Beschränkung der Barrierefreiheit bedeutet hätte, konnte sich das Denkmalamt nicht durchringen. Schon beim Wettbewerb 2008 hatte es zur schizophrenen Zauberformel gefunden, die „derzeitige Optik in der Vertikalen“ zu erhalten und in der „Horizontalen umfassende Grundrissänderungen“ zuzulassen.

Diese Art von Denkmalpflege ergibt keinen Sinn, sondern schadet in beide Richtungen: Sie erhält statt der Komplexität des Bestands bestenfalls dessen Optik und behindert Bauherren und Architekten bei der Suche nach dem zeitgemäßen Ausdruck für eine Bauaufgabe. Der Saal von Fellerer und Wörle mag Messlatte und Inspiration sein. Wie die Optik und die künstlerische Ausgestaltung eines de facto neuen Saals am Ende aussehen, darf sich die Republik aber nicht vom Denkmalamt vorschreiben lassen.

Wenn der Saal 2020 nach der Sanierung wiedereröffnet wird, sollte er keinen Zweifel daran lassen, dass die österreichische Demokratie im 21. Jahrhundert angekommen ist. Symbole des Stillstands finden sich in diesem Land genug. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.