Große Geste für lange Zeiten

Das Grazer Architektenteam Balloon unterzog das Theater im Palais, eine Ausbildungsstätte der Kunstuniversität in Graz, einer Rundumerneuerung. Ein Gewinn.

Wie oft ist es die große Geste, das Extravagante und schrill Auffallende, das der Wanderzirkus der international tätigen Architekturpreisrichter als preiswürdig empfindet und auszeichnet. Auch wenn die Rezeption der ebenso aufwändigen wie kostspieligen Masterpieces einer Zaha Hadid, eines Frank O. Gehry oder von Coop Himmelb(l)au kritischer wird und ihr Bedeutungs-Zenit zumindest in Europa überschritten sein dürfte, so werden doch meist Bauwerke gekürt, die spektakuläre Bilder liefern, die selbstbewusst, aber auch völlig auf sich selbst bezogen, ihre Umgebung überragen. Ein Beispiel, damit meine Rede nicht zu abstrakt bleibt: 2013 wurde das Konzert- und Konferenzzentrum Harpa in Reykjavík von Henning Larsen Architects mit dem renommierten Mies-van-der-Rohe-Preisder Europäischen Union ausgezeichnet – ohne Zweifel ein interessantes Bauwerk, das allerdings das ganze Hafenviertel und den alten Hafen dominant überstrahlt.

Extravaganzen, große Gesten – warum auch nicht? Die Architekturgeschichte zeigt uns, dass es fast ausschließlich außergewöhnliche Bauwerke sind, die Moden und Zeiten überdauert haben und uns Staunen und Ehrfurcht abringen. Was sie uns auch lehrt, ist, dass es ausschließlich Bauten sind, die der geistlichen und weltlichen Macht ihrer Zeit Ausdruck verleihen sollten. Das Harpa in Reykjavík wurde als privates Investmentbegonnen und musste in der Finanzkrise durch ein Konsortium von Stadt und Staat aufgefangen, fertiggestellt und für die Dauer von 35 Jahren finanziert werden. Und die Elbphilharmonie in Hamburg, die als Public-Private-Partnership-Modell entwickelt wird? Vermutlich wird sie nicht nur als Jahrhundertbauwerk, sondern auch als Symbol für Hyperthrophie und Unverhältnismäßigkeit in die Geschichte eingehen.

Auseinandersetzungen, die wegen solcher Beispiele entstehen, sind immer auch ein Aufruf zu maß- und verantwortungsvollem Umgang mit Ressourcen und zeigen eineverstärkte Hinwendung zu Themen wie dem sozialen Bauen, Bauen für die dritte Welt oder auch einem ortsgebundenen Bauen. Österreich ist in diesem Diskurs vorne dabei, weniger mit wissenschaftlichen Abhandlungen als durch eine Vielzahl an konkreten Konzepten und modellhaften Umsetzungen. Herausragende Qualität, das zeigen viele dieser Beispiele, ist keine Frage von Größe oder spektakulärem Auftritt, wohl aber eine nach der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zu ihrer Wirkung.

Zur Angemessenheit der Mittel, die nicht verwechselt werden sollte mit der Forderung nach billigem Bauen, gesellen sich Begriffe wie Einbindung, Einfügung oder Zurücknahme. Für Walter Zschokke, unserem früh verstorbenen Kollegen als Mitgestalter dieser Seite im „Spectrum“, war solch fokussiertes Planen ein „dienendes Integrieren“. Nun wird Einfügung mehr denn je für das Bauen in besonders schöner Landschaft oder für traditionsgebundenes Weiterbauen an gewachsenen Dorfstrukturen gefordert – in städtischen Strukturen hat sich eine offenere, grundsätzlichere Betrachtung durchgesetzt. Historisierende Nachahmung gilt glücklicherweise als überwunden. Sie ist nur dort akzeptiert, wo es um die abstrahierte Nachbildung von zerstörten Bauteilen geht, wie am Naturhistorischen Museum in Berlin, und wird schon dann als unangebracht diskutiert, wenn der Pariser Architekt Edouard François die Außenwirkung einer Hotel-Erweiterung auf den Champs-Élysées mit einer originalgetreu in Beton gegossenen Nachbildung einer Haussmann'schen Fassade erreichen will. Selbst der Denkmalschutz öffnet sich einer Auffassung, die behauptet, dass gut eingefügt in den Organismus der Stadt jedes neue Objekt ist, das hohe Qualitätskriterien an Baukunst erfüllt – weil diese schon das sensible Eingehen auf Bestehendes, die Berücksichtigung des umgebenden Stadtgefüges beinhalten.

Nun gilt es, zur Sache zu kommen und von einem kürzlich abgeschlossenen Bauvorhaben zu berichten, das dieser Kategorie entspricht – und mehr. Es ist der Umbau des Theater im Palais, eine der Ausbildungsstätten der Kunstuniversität KUG in Graz. Die veraltete Ausstattung von Bühnen- und Probenräumen und ein Foyer, das in den 1980ern als erste Ausbaustufe im ehemaligen, zum Stadtpalais des Erzherzog Johann gehörenden Pferdestall eingerichtet wurden, riefen förmlich nach einer Runderneuerung.

Aus dem geladenen Wettbewerbsverfahren ging das Grazer Architektenteam Balloonsiegreich hervor. Ihr Konzept: eine neue Raumschicht als adäquates Gegenüber des Palais Meran über die gesamte Breite des historischen Nebengebäudes und darüber hinaus bis zur die Leonhardstraße begrenzenden Mauer. Die Abstandsfläche dahinter wurde mit Nebenräumen aufgefüllt, so, wie es schon im Erstausbau mit dem schmalen Zwischenraum an der rückseitigen Breitseite des Gebäudes geschehen war. Die alte Umfassungsmauer aus kleinen, grob behauenen Steinen wurde an zwei Seiten zur Fassade, und so war es folgerichtig, eine Dachverkleidung in der Art einer Attika um das neu entstandene Volumen zu spannen. Als Klammer fasst sie die ehemals heterogenen Gebäudeteile zu einem Ganzen. Dort, wo das Band aus goldfarbigem perforiertem Aluminiumblech auf die neue Glasfassade des Foyers trifft, übernimmt es die Funktion des Sonnenschutzes im Foyer. Dieses linear wirksame, Gestalt gebende Element bewirkt im Außenraum des Platzes, der sich zwischen dem Palais und dem Umbau aufspannt, Erstaunliches: Es holt das Mumuth, das von Ben van Berkel als selbstreferenzieller, auf sein Inneres fokussierter Bau seitlich neben den Bestand gestellt wurde, in den gemeinsamen Raum und fügt drei Einzelbauten zu einem harmonischen, städtebaulich wirksamen Platzensemble.

Bemerkenswert, wie souverän die Architekten die an sie gestellte Bauaufgabe gelöst haben: Wiewohl sie sich ordnend zurücknehmen und ihren Umbau in Form, Farbwahl und Materialität auf seine Wirkung im Ganzen abstimmen und einfügen, bleibt das Theater im Palais eigenständig prägnant. Erstaunlich: Selbst das Mumuth, dessen äußere Metallnetzstruktur an trüben Tagen trist und eintönig erscheint, wird stadträumlich aufgewertet. Und ihr größter Verdienst: ein zuvor von der Straße abgewandter, auch intern wenig genutzter Platzraum wurde ganz geöffnet, möbliert und nicht nur den Studierenden, sondern den Passanten und Bewohnern des Viertels zur Inbesitznahme angeboten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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