Achtung, Licht!

2015 ist das „Jahr des Lichts“: Die Gestalter des öffentlichen Raumes sind gefordert, denn die Geschäftemacher haben längst Lunte gerochen. Die Künstlerin Siegrun Appelt befasst sich mit dem Medium Licht sowohl in ökologischer als auch ästhetischer Hinsicht.

Mama, warum hängen da oben Lichter?“, fragt der Fünfjährige, als sich die Straßenbeleuchtung bei Einbruch der Dunkelheit einschaltet. „Damit die Straße hell ist.“ – „Die Autos haben Scheinwerfer. Die brauchen das gar nicht!“ – „Auch Fußgänger müssen etwas sehen.“ Er: „Es leuchten ja sowieso die Auslagen der Geschäfte!“ Schon interessant, wie das Stadtkind plötzlich längst selbstverständlich geglaubte Errungenschaften infrage stellt.

Was für kindliche Verwunderung sorgt, beschäftigt die Wissenschaft seit Längerem. Astronomen, Biologen und Mediziner warnen seit Jahrzehnten vor der Lichtverschmutzung, wobei der Terminus ähnlich ungenau ist wie zum Beispiel „Klimaschutz“. Denn genauso wenig wie das Klima schutzbedürftig ist, sondern es vielmehr um die Reduktion des vom Menschen verursachten Klimawandels geht, geht es bei der Lichtverschmutzungnicht um verschmutztes Licht, sondern um negative Auswirkungen von zu viel künstlichem Licht auf die Umwelt.

Spätestens seit der Abschaffung der Glühbirne ist die Diskussion um die Umweltauswirkungen von elektrischem Licht in der Gesellschaft angekommen. Neue Umsetzungsrichtlinien zwingen die Kommunen zu neuenAußenbeleuchtungskonzepten und sorgen zugleich für Goldgräberstimmung bei den Herstellern. Die Aussicht auf einen radikal reduzierten Energieverbrauch durch moderne Leuchtmittel wie LED und damit verbundene langfristige positive Auswirkungen auf die Gemeindebudgets verleiten zu Investitionen, die oft überhastet und unüberlegt sind, wie kritische Beobachter anmerken.

Siegrun Appelt ist eine dieser kritischen Stimmen. Die Künstlerin befasst sich seit etlichen Jahren mit dem Medium Licht. Im Rahmen ihres künstlerischen Forschungsprojekts Langsames Licht/Slow Light geht es ihr nicht um die Inszenierung der Beleuchtung im Sinne einer (dekorativen) Lichtkunst, sondern um das Bewusstmachen ihrer Auswirkungen sowohl in ökologischer als auch räumlich-ästhetischer Hinsicht. Mit der Arbeit „64 kW“ thematisierte sie im Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig 2008 den Zusammenhang zwischen Energienutzung und -verbrauch und führte vor, dass Energieeinsparung nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten muss, sondern auch einen Mehrwert bringen kann. Für Plätze in Berlin und Luzern schlug sie – unrealisiert gebliebene – Lichtkonzepte vor, die auf dem Prinzip des Lichtrecyclings beruhen: Unerwünscht vorhandenes Streulicht wird als Basisbeleuchtung genutzt und behutsam dort ergänzt, wo es nötig ist, den öffentlichen Plätzen Charakter und Kontur zu geben. Im Zuge all ihrer Projekte ist es Appelt wichtig, nicht bloß eine Beleuchtungsaufgabe zu erfüllen, sondern auch auf vorhandene Lichtphänomene hinzuweisen, um anhand dieser das Bewusstsein für die unterschiedlichen, meist alltäglichen Situationen zu schaffen, in denen Licht die Wahrnehmung unserer Umwelt verändert und prägt. Im Zusammenhang mit dem Lichtprojekt Wachau, für das sie im November den Anerkennungspreis des Niederösterreichischen Kulturpreises in der Sparte Architektur erhielt, machte sie zum Beispiel auf – in Tourismusregionen seltene – Fälle von Absenz elektrischer Beleuchtung aufmerksam, oder auf das Schauspiel, das die Scheinwerferkegel fahrender Autos bieten.

Besonders an den Beleuchtungen historischer Architekturen ist signifikant nachzuvollziehen, dass weniger Licht bei richtigem Einsatz mehr zeigen kann als üppiges Lichtspiel. Indem Appelt mit minimierter Lichtstärke LED-Lichtpunkte gezielt auf die Bauten – darunter etliche Wachauer Kirchen oder der Bahnviadukt von Emmersdorf – richtet und so bewusst Schatten setzt, gelingt es ihr, die charakteristischen architektonischen Strukturen zu akzentuieren. Während anderswo, an touristischen Leitbetrieben ebenso wie an Baudenkmälern, im Ringen um die Aufmerksamkeit kitschige Illuminierungs-Spektakel die Bauwerke im Licht ersäufen, ist Siegrun Appelts Arbeit ein Plädoyer dafür, nicht nur die energetischen Effekte der neuen Leuchtmittel, sondern auch die ästhetischen, emotionalen und physischen Wahrnehmungsebenen zu beachten. „Nicht einmal ein Kleinkind blickt freiwillig minutenlang in direktes Sonnenlicht. Alle schauen weg, sobald die Adaption der Augen nicht mehr genügend Schutz vor Schäden bieten kann“, sagt die Künstlerin und zieht Parallelen zu den Blendpunkten von LED-Leuchtmitteln. „Deren Leuchtdichten reizen unsere Augen stärker als herkömmliche künstliche Lichtquellen. Es wäre ratsam, über die Konsequenzen nachzudenken.“

Dabei ist sie die Letzte, die von den Licht emittierenden Dioden abraten würde. Sie hätten neben der Energieeffizienz weitere große Vorteile. Man könne damit das Licht exakt führen, sie sind vielfältig steuerbar und dimmbar. Auch die Farbtemperaturen hat man längst in den Griff bekommen. Das kalte Licht, das den LEDs Kritik einbrachte, sei heute kein Thema mehr. Sehr wohl aber die starken Blendeffekte. Wenn man effizientes Licht will, seien die Chancen auf Blendfreiheit gering, meint Siegrun Appelt. Die Entwicklung blendfreier Leuchten müsse unbedingt forciert werden.

Noch gar nicht beachtet seien die Auswirkungen des Zusammenspiels von Straßenbeleuchtung und Autolicht. Immer heller und präziser gerichtete Scheinwerfer führten, so Appelt, aufgrund des Adaptionsverhaltens unserer Augen dazu, dass Bereiche außerhalb des Scheinwerferlichts nur noch dann gut wahrgenommen werden können, wenn auch das Umgebungslicht sich den Lichtstärken der Scheinwerfer anpasst. „Wenn ein Licht heller wird, muss das andere reagieren. Wird eines gedimmt, stellt das andere eine potenzielle Gefahr dar.“ Es sei wichtig, die Sinne zu schärfen und Zusammenhänge zu erkennen, um dem Wetteifern der Lichter Einhalt zu gebieten.

Nicht die Menge des Lichtes ist wichtig, um Dinge sichtbar und Räume sicher zu machen, sondern seine bewusste Setzung – ein Thema, dem auch in Architektur, Städtebau und Denkmalpflege mehr Beachtung gewidmet werden könnte. Da trifft es sich gut, dass die UNESCO das Jahr 2015 zum „Internationalen Jahr des Lichts“ erkoren hat. Im November wird aus diesem Anlass und ergänzend zum Lichtprojekt Wachau im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich ein Symposium stattfinden, das die Thematik umfassend behandeln soll.

In Mühldorf in der Wachau bewies Siegrun Appelt, was reduziertes Licht zu leisten vermag. Anstelle einer herkömmlichen Straßenbeleuchtung „malte“ sie auf dem Weg zur Burg Oberranna mit gezielt auf signifikante Landschaftsausschnitte gerichteten LED-Strahlern dreidimensionale Landschaftsbilder in die Nacht. Sie machen Raumsequenzen neben der Straße sichtbar und geben so Orientierung und Sicherheit. Es wird kein Licht in den Himmel gestrahlt, weder die Sterne noch das Leuchten der Glühwürmchen erhalten Konkurrenz. Damit die Fauna in den alten Obstwiesen nicht zu lang irritiert wird, ist die Beleuchtung bei Bedarf per Knopfdruck einschaltbar. Poetisch und pragmatisch zugleich. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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