In Wald und Wiese gewürfelt

Drei Baukörper mit 31 Gartenhäusern und 31 Geschoßwohnungen bilden ein heterogenes Siedlungsgebiet zwischen Stadt und Land: Essling als architektonische Collage, die Gelassenheit und Wärme ausstrahlt.

Essling wurde 1938 Teil von Groß-Wien. Bis 1970, als das Umland des dörflichen Kerns noch recht ländlich war, erreichte man Essling per Straßenbahn. Heute öffentlich nur per Bus, der immerhin von der nach Aspern verlängerten U-Bahn keine Viertelstunde braucht, vom innerstädtischen Busfahrtakt ist jedoch keine Rede, aber das nimmt man in Kauf, wenn man es ländlich will. In den 1990er-Jahren wurde am Rand des ehemaligen Schlossgartens die Stadterweiterung in Angriff genommen, für die ein EUROPAN-Wettbewerb für junge Architekten Bebauungsvorschläge lieferte. Sieger Martin Feiersinger variierte damals das Thema „Stadtgärten“ mit einer dichten, zweigeschoßigen Bebauung mit innenliegenden Freiräumen zum dörflichen Kern hin und einem Teppich aus flachen Doppelhäusern mit Gartenhöfen Richtung Grünland. Am Rand des ehemaligen Schlossgartens sollten acht aufgestelzte Laubenganghäuser entstehen, unter denen der Park liegt. Von Letzteren realisierte Feiersinger in modifizierter Form vier Blocks. Die übrigen Flächen vergab die Stadt an Bauträger, die mit diversen Architekten eine heterogene Collage an Siedlungsteilen umsetzten.

Für die jüngste Besiedlungswelle in Essling sorgte die vor zehn Jahren ausgerufene Neue Siedlerbewegung, die sich nach Grün sehnende Jungfamilien von der Abwanderung in den niederösterreichischen Speckgürtel abhalten sollte. Mit der alten Siedlerbewegung der Zwischenkriegszeit hat sie nichts gemein, sie musste keinem Notstand abhelfen, sondern populäre Sehnsüchte à la „My home is my castle“ via geförderten Mietwohnungsbau befriedigen. Die letzten Ableger dieses Programmes finden sich an der Seefeldergasse, die nicht etwa wegen der angrenzenden Felder und der nahen Gewässer der Lobau so heißt. Ihren durchaus malerischen Namen erhielt die zuvor naheliegender Weise Gärtnergasse genannte Straße 1955 zu Ehren des Ophthalmologen Richard Seefelder, Professor für Augenheilkunde in Innsbruck. Wie die von der Stadt eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Wiener Straßennamen dokumentierte, war er für das NS-Regime, unter anderem als SS-Untersturmführer, aktiv und hatte zudem mit Wien gar nichts zu schaffen.

Die Kommission führt die Gasse folglich als einen von 28 „Fällen mit intensivem Diskussionsbedarf“. Das trübt das Idyll am Stadtrand, der vom niederösterreichischen Groß-Enzersdorf gerade einmal eine Ackerlänge entfernt ist. Wäre das Autokino nicht jüngst in die Insolvenz geschlittert, es wäre nur ein kurzer Fußmarsch dorthin. Für alles andere – abgesehen vom Radfahren und Spazierengehen in der Natur, aber wer hat dazu schon den ganzen Tag Zeit – ist der Besitz eines Autos ratsam.

Wie schafft man es, in diesem Umfeld siedlungsstrukturellen Halt zu geben und mitten im Wald- und Wiesengürtel eine attraktive Adresse zu schaffen, die so etwas wie Nachbarschaft ermöglicht und nicht nur ein anonymes Nebeneinander? Unter den gegebenen Umständen ist die von Ulrich Huhs und Anna Wickenhauser geplanteSiedlung eine, die den Spagat zwischen Stadt und Land, Privatheit und Miteinander gut bewerkstelligt. Die beiden haben mit der Genossenschaft EBG im Jahr 2009 den Bauträgerwettbewerb gewonnen, umgesetzt haben sie 31 Geschoßwohnungen und 31 Gartenhäuser, alles zur Miete, getrennt. Anna Wickenhauser kombinierte variantenreich gegeneinander versetzt jeweils einen Baukörper auf quadratischem Grundriss und einen langgestreckten Haustyp unter flachen Zeltdächern zu einem Paar. Damit verhinderte sie Monotonie und machte die dazwischen liegenden Wege und Abstände als Raum spürbar. Pergolen und Terrassen schaffen Übergänge zum Privaten. Die dunkel lasierte Fassade und die goldfarben eloxierten Fensterrahmen verleihen den Holzhäusern Charakter und eine gewisse Noblesse.

Ulrich Huhs bleibt bei seinen Viergeschoßern an der Straßenseite in der gleichen Materialität, entschied sich aber für eine helle Lasur der in unterschiedlich breite Streifen strukturierten Lärchenholzfassade und einen stimmigen Beigeton bei den Fenstern. Die Wegführung ist abwechslungsreich und auf jene der benachbarten Siedlung von Junger-Beer abgestimmt. Die Stellung der drei Häuser auf parallelogrammförmigem Grundriss sorgt in den Zwischenräumen für ein angenehmes Entree in die Freiräume der Siedlung und eine spannende Abfolge von Engen und Weiten. Da sich das Esslinger Stadterweiterungsgebiet im Wesentlichen aus kleineren oder größeren Gebäuderiegeln mit Erdgeschoßgärten formiert und außer großen Kinderspielplätzen kaum offener Raum in den Siedlungen vorhanden ist, war hier die letzte Chance, ebensolchen anzubieten. Anna Detzlhofer (DnD Landschaftsplanung) zeichnet für die Gestaltung verantwortlich.Um das hübsche Müllhäuschen entstand ein Vorplatz, Betonbänke begleiten die Bauten, den Innenhof, der sich zum Gemeinschaftshaus mit Dachterrasse aufspannt, gliedern begrünte Rondelle. Er ist nicht als Kinderspielplatz definiert, bietet sich aber auch als solcher an.

Ursprünglich in Massivbauweise konzipiert, entschied man sich während der Planungszeit bei den Geschoßbauten für eine Holzmischbauweise. Stiegenhaus und Sanitärkern sind massiv, der Holzriegelbau umfängt sie dreiseitig wie ein Regal, was den Vorteil mit sich brachte, dass alle Wohnräume komplett in Trockenbauweise errichtet werden konnten und dank nichttragender Innenwände allfällige spätere Adaptionen erleichtert werden. Wie im mehrgeschoßigen Holzwohnbau kaum vermeidbar, wirkten sich die Brandschutzvorschriften formgebend aus, was der guten Form keinen Abbruch tut. Die kräftigen Gesimsbänder aus Stahlblech gliedern horizontal und verhindern den Brandüberschlag zwischen den Geschoßen. Die massiven Brüstungen der Loggien geben Sichtschutz und Distanz zum Freiraum, in den Balkongeländern findet sich die Struktur der Fassaden wieder. Das Benutzen der Stiegenhäuser, die mit großen Fenstern nicht nur gut belichtet sind und Aussicht gewähren, sondern auch ein räumliches Kunstwerk sind, wie man es im Wohnbau selten findet, macht Freude.

Dass die Siedlung schlussendlich eine so wohltuende Gelassenheit und Wärme ausstrahlt, hat mit Anstrengung und sorgfältiger Überlegung zu tun. Die Absenz plakativer Elemente und dennoch kein Funken Monotonie – das würde auch im größeren Maßstab guttun. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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