Die Sprache der Steine

Hier ein traditioneller Ort mit Kirche, Gemeindeamt, Gasthof – und einer neuen Mitte als Besonderheit. Da ein Stationsgebäude – das an Gebirge und Felsen erinnert. Zum Charakter von Beton: zweimal Besuch in Oberösterreich.

Die Gemeinde Handenberg mag mit ihren 1300 Einwohnern nicht groß sein und ihre Lage weit im Westen des oberösterreichischen Innviertels nicht unbedingt zentral. Doch die Dorfgemeinschaft von Handenberg ist höchst lebendig und hat sich über einen mehrere Jahre dauernden Prozess zielstrebig ein neues Zentrum erarbeitet.

Die Mitte des Ortes wird, ganz traditionell, von Kirche, Gemeindeamt und Gasthof gehalten. Der dazwischen aufgespannte Platz hatte aber nach Abbruch eines Kaufhauses an seiner Westseite jede Kontur verloren. Den auf Anregung des oberösterreichischen Ortsbildbeirates ausgeschriebenen Architekturwettbewerb zur Gestaltung des Ortsplatzes hat das Büro Heidl Architekten aus Linz gewonnen. Seine Maßnahmen haben Handenberg nicht nur einen äußerst funktionstüchtigen öffentlichen Raum beschert, sondern auch eine Sehenswürdigkeit, die der Annahme ländlich ist gleich rückständig elegant das Gegenteil beweist.

Der barocke Turm der in ihrem Ursprung gotischen Pfarrkirche beherrscht nach wie vor den Hügel, auf dem das Zentrum Handenbergs liegt. Die dem heiligen Martin geweihte Kirche ist vom Friedhof umgeben, in dessen Umfassungsmauer ein historisches Portalgebäude eine Nord-Süd-Achse zum Gemeindeamt bildet. Die Ostflanke dieses Raumes schließt nun eine Wand aus Sichtbeton, entlang der eine lang gestreckte hölzerne Bank zum Sitzen einlädt. Dahinter wendet sich eine Grünfläche mit bereits vorgefundenem Busch- und Baumbestand dem Gasthaus zu. Im Westen des zur Gänze mitKleinsteinen gepflasterten Dorfplatzes ist durch den Abbruch des Kaufhauses eine Besonderheit von Handenberg zum Vorschein gekommen: ein kleiner, über einen unterirdischen Strom vom nächsten Hügel her gespeister Teich, der durch das Gebäude und hohe Hecken den Blicken der Allgemeinheit für lange Zeit entzogen war. Heidl Architekten und die ebenfalls in Linz ansässige Landschaftsplanerin Barbara Bacher haben sein östliches Ufer durch einen hölzernen Steg vom Platz her zugänglich gemacht; bepflanzte Böschungen und ein auch den Platz umfassender Kreisbogen aus Eichen werden für Schatten und jenen Grad an „Natürlichkeit“ sorgen, der informellen Begegnungen einen angenehmen Hintergrund schafft.

Den Übergang von diesem Grünraum zu dem repräsentativ wirkenden Bereich des Platzes zwischen Amt und Kirche markiert ein einprägsames Bauwerk: ein konstruktiv von Werkraum Wien entwickelter Winkel aus Stahlbeton kragt über zwölf Meter von Norden nach Süden aus und beschirmt eine Grundrissfläche von etwa 80 Quadratmetern. Seine aus dem Boden aufsteigende Wand zieht die Grenze zwischen Platz und Gehsteig. Sie ist an beiden Seiten unterschiedlich, an der Innenseite des Winkels nach Maßgabe der daran befestigten Sitzbank geneigt.

An der Mauer zum Friedhof nimmt eine weitere Bank dieses Motiv auf. Der an seiner schlanksten Stelle nur 15 Zentimeter starke Winkel ist ohne jeden Kompromiss aus Stahlbeton gefertigt. Wasserdicht sowie gegenüber Frost und Tausalz beständig, verbirgt er hinter seinen leicht überhöhten Kanten die Entwässerung des Daches, die ohne Folien und Verblechungen einzig durch die Ausbildung eines leichten Gefälles über zwei in der Wand geführte Abfallrohre funktioniert. An der Untersicht des Daches sind LED-Leuchten in das sorgfältig geplante Fugenbild derSchalung integriert. Dieübrige Platzbeleuchtungbeschränkt sich auf eine indirekte, an den Fuß der begrenzenden Wände und Bänke gekoppelte Lichtführung.

Nur wenige Kilometer entfernt, in der unmittelbar an der Grenze zu Deutschland gelegenen Marktgemeinde Ostermiething ist ein weiteres Beispiel zeitgenössischer Architektur zu sehen, das sich den Charakter des Betons in ähnlicher Intensität, jedoch auf ganz andere Weise zunutze macht. Die Salzburger Lokalbahnen, die für den vom Salzburger Büro Udo Heinrich Architekten entwickelten Lokalbahnhof Lamprechtshausen mit dem Bauherrenpreis 2012 der ZV geehrt wurden, haben Udo Heinrich Architekten als Gewinner eines geladenen Architekturwettbewerbes ein weiteres Mal mit der Errichtung eines Stationsgebäudes beauftragt, diesmal am Ende ihrer neuen, nach Ostermiething verlängerten Strecke. Während das kühne Flugdach in Handenberg die verblüffenden konstruktiven Möglichkeiten des Stahlbetons und sein Potenzial zur „reinen“ Geometrie in den Vordergrund stellt, betont das Stationsgebäude in Ostermiething den Gesteinscharakter des Baustoffes. Seine aus Beton gegossene Plattform und ihre von fünf Pavillons getragene Überdachung lassen an Gebirge und Felsen denken. Die ihren Nutzungen entsprechend unterschiedlich ausgeformten Pavillons falten sich zu einer Landschaft von Graten und Giebeln, in die das schlanke Bahnsteigdach aus Stahlbeton seinen beruhigenden Horizont legt.

Näher kommend erkennt man, dass man es mit einer durchkomponierten Abfolge von „Steinsetzungen“ in gesteigerten Verfeinerungszuständen zu tun hat: das Buffetgebäude ganz vorne am Wendepunkt der ankommenden Züge und der daran schließende Wartebereich für die Reisenden sind polygonale Kristalle mit glatt geschliffenen Wänden, die von – mitunter gläsern gefassten – Tageslichtkörpern begleitet werden. Weiter dem Südosten zu wird die Geometrie der Pavillons einfacher; der Bearbeitungsgrad der Betonoberflächen und damit ihre Rauheit nimmt zu.

Während der Personalbereich und dieWC-Anlagen noch eine relativ hohe Komplexität und feiner strukturierte Oberflächen aufweisen, scheint der abschließende, technische Infrastruktur bergende Block mit seiner einfachen Geometrie und der tief gespitzten Wandstruktur erst skizzenhaft umrissen zu sein. Er markiert die fließende Grenze der Bahnstation zum Landschaftsraum, der mit geschottertem Schienenstrang aus der Ferne kommend einzieht. Es ist durchaus denkbar, dass das so geschaffene poetische Element des Ortes im Nebel des werktäglichen Pendelverkehrs nicht von sämtlichen Reisenden in gleicher Tiefe gewürdigt wird; die funktionellen Qualitäten der ebenso feinsinnig wie robust gestalteten Anlagen liegen jedoch für alle Nutzerinnen und Nutzer gewiss auf der Hand. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.