Vom Mut, das Lebendige zu wählen

„Im innovatorischen Charakter vorbildlich“ sollen sie sein und „einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten“: jene Bauten, die alljährlich mit den Bauherrenpreisen geehrt werden. Die Preisträger der Saison: ein Überblick.

Um den seit 1967 von der Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten ausgelobten Bauherrenpreis zu bekommen,reicht es nicht, ansehnliche Gebäude hinzustellen. „Im innovatorischen Charakter vorbildlich“ sollen die preisgekrönten Bauten sein und „einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten“. Eugen Wörle, unter dessen ZV-Präsidentschaft der Preis ins Leben gerufen wurde, verlangte nach einem Bauherrn, „der seine Aktivität nicht auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt und im Architekten nur einen Vollzugsgehilfen sieht“. Ein Bauherr müsse von sozialer Verantwortung sein und „den Mut haben, Lebendiges, Positives und Zukunftsweisendes zu wählen anstatt Bequemes, Steriles oder Mode-Schönes“.

Betrachten wir also die heurigen Preisträger, die vergangenen Freitagabend im Werkraumhaus in Andelsbuch geehrt wurden, nach diesen Gesichtspunkten. Sechs an der Zahl hat die Jury, bestehend aus dem Südtiroler Architekten Walter Angonese, Architektin Hemma Fasch und Architekturkritiker Otto Kapfinger, ausgewählt.

Bei der Wohnhausanlage „Wohnzimmer Sonnwendviertel“ beim Wiener Hauptbahnhof hat sich das Bauträgerkonsortium „win4win“, vor allem in Person von Michaela Mischek-Lainer, von Anfang an die Latte hoch gelegt. Drei Architektenteams – Klaus Kada, Bernd Vlay mit Karoline Streeruwitz und Riepl Kaufmann Bammer – wurden zusammengespannt, um innerhalb eines Gebietes mit drei Bauplätzen kooperativ ein stadträumliches Ganzes mit 450 Wohnungen zu planen. Um das Einsparen individueller Wohnfläche zu kompensieren, wurden großzügigst gemeinschaftliche Einrichtungen wie Indoor-Spielplätze, Musikraum, Kinosaal, Gemeinschaftsküche, Fahrradwerkstatt und sogar ein auch von externen Besuchern nutzbares Schwimmbad errichtet. Die im Masterplan vorgesehene Blockrandbebauung wurde zwecks besserer Vernetzung mit dem Umfeld aufgebrochen, die interne Freifläche blieb von trennenden Maschendrahtzäunen verschont. Städtebaulich und sozialräumlich modellhaft und absolut weiter verfolgenswert befand die Jury die hier formulierten Ansätze für zeitgemäße urbane Wohnquartiere.

Geehrt wurden auch die Stadt Innsbruck, der Bauträger Innsbrucker Stadtbau und die sozialen Dienste für das Wohn- und Pflegeheim im Olympischen Dorf von Artec Architekten. Am Ufer des Inns überspannt es in fünf bis acht Meter Höhe einen Park und schafft für die Öffentlichkeit neue Angebote, wie attraktive überdachte Flächen zum Aufenthalt im Freien, die durch die entsprechende Lage von Café, Mehrzweckraum und Kapelle mit der Heimsphäre verbunden sind. Obwohl an einem nebeligen Morgen vor Ort, konnte die Jury ein „lebhaftes Ineinander aller Ebenen, ein anregenden Spiel von Innen und Außen, von Raum und Bau und einmaliger Landschaft“ erleben. – Die Tiroler Wasserkraft AG unterliegt nicht den Vergaberichtlinien öffentlicher Auftraggeber, zeigte aber dennoch baukulturelle Verantwortung und führte zur Projektfindung für die neue Leitstelle in Silz ein EU-weites Bewerbungsverfahren durch. Bechter Zaffignani Architekten positionierten den Bau als „wohlgerüsteten Wächter“ gegenüber der bestehenden Turbinenhalle und überzeugten mit der strikten Klarheit des kraftvollen Monolithen aus Sichtbeton, der auf den Kontext der Umgebung Bezug nimmt und zudem auch in energetischer Hinsicht sparsam ist.

Im Spannungsfeld Technik und Landschaft gelang Marte.Marte Architekten mit Bauingenieur Josef Galehr im Auftrag der Stadt Dornbirn ein Beispiel für Ingenieurbaukunst vom Feinsten. Gerade bei Infrastrukturbauten gehen die Ansprüche über das Notwendigste, das Bequeme und Sterile selten hinaus. Die neue Schaufelschluchtbrücke an der spektakulär über Abgründe und durch Naturtunnel führenden Straße in den entlegenen Ort Ebnit schmiegt sich wie ein skulpturales Passstück in die Natur. Eine kongeniale Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren und ein Musterbeispiel für einen kommunalen Bauherren, der Wert auf gestalterische Qualität legt!

Das Wettrüsten kommerzieller Interessen, gepaart mit der ästhetischen Inkompetenz zahlreicher im öffentlichen Raum agierender Behörden, die ihre Verkehrsflächen, Hinweistafeln, Blumentröge, Fahrradständer oder Mistkübel eher nach den Prämissen der (eigenen) Bequemlichkeit als jenen der Schönheit platzieren, beeinträchtigt Stadtbild und Aufenthaltsqualität. In der Salzburger Altstadt haben sich Anrainer, allen voran Franz Modrian, Bauträger und Hauseigentümer – auch mit erklecklicher finanzieller Beteiligung –, gemeinsam mit den Architekten Eduard Widmann und Erich Wagner für eine formale und funktionale Verbesserung in der rechten Altstadt eingesetzt. Die Vorschläge der engagierten Gruppierung wurden seitens der Stadt unterstützt; die gestalterischen Mittel sind wohlüberlegt und bleiben im Hintergrund. Als erfrischende Draufgabe bereichern die mit ausgetüftelter Technik in der Tradition der Salzburger Wasserkunst installierten Wasserspiele den städtischen Alltag.

Wo Steuergelder investiert werden, sollten höchstmögliche soziale und gestalterische Kriterien selbstverständlich sein und von der Bevölkerung auch eingefordert werden. Allgemeine Praxis ist in unserem angeblich für das Schöne begnadeten Volk weder das eine noch das andere. Umso mehr stechen private Unternehmen hervor, die Bauen auf sehr umfassende Weise als soziale Verantwortung verstehen. Der Firma Omicron, Weltmarktführer in der elektrischen Prüftechnik, ging es bei der Erweiterung ihres Hauptsitzes in Klaus, Vorarlberg, nicht nur darum, weitere 200 Arbeitsplätze und zusätzliche Lager- und Laborflächen in einer ansehnlichen Firmenarchitektur gut zu organisieren. Als fordernder Bauherr im besten Sinne war man Dietrich Untertrifaller Architekten ein kongenialer Sparringpartner, vertraute auf die „Kraft des Teams statt auf das Genie des Einzelnen“, agierte sozial und lupenrein ökologisch.

Das von Mitarbeitern getragene Solidaritätsprojekt „Crossing Borders“ zur Verbesserung der Ausbildung von Kindern in Schwellenländern wird in Materialien und Techniken aus dem Umfeld dieser Initiativen sichtbar. So ist einer der geschoßübergreifenden Rekreations- und Denkräume von Anna Heringer und Martin Rauch mit einem textilumspannten Zeppelin und einem Schicht für Schicht von Hand geformten Kuppelbau ausgestattet. Die flache Unternehmenshierarchie findet ihren Widerhall in – vom Reinigungspersonal bis zur Chefetage – gleichen Bürozellen mit sensuell und klimatisch wohltuenden, sägerauen Eichenböden und Wänden aus Weißtanne. Von den öffentlich zugänglichen Innenhöfen bis auf das Dach fördert eine naturnahe Freiraumgestaltung nicht nur die Entfaltung der Menschen, sondern auch jene der regionalen Flora und Kleinfauna. Man hat an alle und alles gedacht. Eugen Wörles Bauherrenideal ist nicht besser zu verkörpern. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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