Lust auf Luft

1934 emigrierte Josef Frank nach Schweden, wo er zeitlebens für ein Einrichtungshaus tätig war. Heute gilt er als „Hausheiliger der schwedischen Formgebung“. In Wien gibt es ab Ende November Frank-Stücke zu bewundern und zu erwerben.

Es wäre wohl zynisch zu sagen, dass der Architekt Josef Frank nun posthum nach Wien heimkehrt. Zu tief war seine Frustration. Den „Anschluss“ wartete Frank nicht ab, als er, Sozialdemokrat und jüdischer Herkunft, nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 das Land mit seiner schwedischen Frau Anna Sebenius Richtung Stockholm verließ. Hinter sich ließ er auch die jahrelangen Querelen im Österreichischen Werkbund, die nach dem von Meinungsverschiedenheiten grundlegender Art begleiteten Bau der Wiener Werkbundsiedlung zur endgültigen Spaltung der Vereinigung geführt hatten, deren Gründungsmitglied Frank 1912 gewesen war.

Wie viele Architekten der Wiener Moderne konnte Frank auf ein Netzwerk von Freunden, Verwandten und ganzen Clans bauen, die ihn, wie etwa die Blitz und die Beers, in mehreren Generationen immer wieder beauftragten. Den mit ihm verwandten Fabrikanten und Philanthropen Hugo und Olga Bunzl baute er nahe deren Papierfabrik im niederösterreichischen Pernitz Arbeitersiedlungen, einen Kindergarten und ein Sommerhaus, dessen Einrichtung sich von denen der Arbeiterhäuser nicht prinzipiell unterschied. Franks leichte und wie improvisiert wirkenden Möblierungen waren für das Wiener Bürgertum der Ersten Republik die coolere Variante zu den weltentrückten Gesamtkunstwerken der Wiener Werkstätte: Während man dort, wie Spötter meinten, ständig darauf achten musste, nicht die Sessel aus ihrer Achse zu verrücken oder das Ensemble durch falsche Kleidung zu stören, lieferte Franks Einrichtungsunternehmen „Haus und Garten“ den mehr intellektuell als gediegen wirkenden Hintergrund zu einem entspannten Dasein, dessen leicht Boheme-hafter Touch auch einem Bankiers- oder Unternehmerhaushalt gut anstehen mochte.

Wem die Wiener Werkstätte zu ästhetizistisch und Adolf Loos' Stein- und Holzvertäfelungen zu dunkel waren, der fand Alternativen bei Frank und seinem Umkreis. Der „Haus und Garten“-Showroom in der Bösendorfer Straße, an der damaligen Endstation der Badner Bahn, machte der Zielgruppe Lust auf die luftigen, hellen Interieurs. Franks Einrichtungskonzept erlaubte es auch, einzelne Stücke mit alten, schon vorhandenen zu kombinieren. Die Möbel sollten dezidiert nicht „zueinander passen“, sondern in den in neutralem Weiß gestrichenen Räumen einladende, zwanglose „Wohninseln“ bilden. Ein gewisses Chaos war dabei durchaus Konzept: „Im modernen Raum herrscht Unordnung“, war Frank überzeugt und kann damit noch heute all jenen ein Quell der Freude und Erleichterung sein, die an der Aufrechterhaltung minimalistischer Aufgeräumtheit in ihren vier Wänden konsequent scheitern.

Franks unorthodoxes Verständnis von Moderne führte ihn früh zu Konflikten sowohl mit den Kollegen Josef Hoffmann und Clemens Holzmeister als auch mit dem Bauhaus und dem Deutschen Werkbund. Was zu seiner Emigration nach Schweden mit beigetragen haben dürfte – neben der Tatsache, dass er das Glück hatte, in der Gründerin des Stockholmer Einrichtungshauses „Svenskt Tenn“, Estrid Ericson, im Jahr 1934 eine lebenslange Förderin und Arbeitgeberin zu finden.

Bis 1938 behielt Frank seine Wiener Wohnung in der Wiedner Hauptstraße, kehrte immer wieder zurück und betreute Wiener Projekte. Bereits 1941 jedoch war nicht nur Österreich, sondern auch Schweden kein sicherer Hafen mehr – Frank zog vorübergehend nach New York, wo er an der New School for Social Research unterrichtete. Eine Rückkehr nach Wien war keine Option – nicht zuletzt, weil niemand ihn auf Dauer zurückholte. Einen Vortrag im Ottakringer Volksheim hielt Frank immerhin 1948 auf Einladung des damaligen KPÖ-Kulturstadtrats Viktor Matejka. Ironische Bemerkungen über jene auf Ehrenplätzen in der ersten Reihe sitzenden Kollegen, deren Hetze wegen er Wien einst verlassen hatte, verkniff er sich dabei nicht. Clemens Holzmeister, einer der Angegriffenen, besaß im Jahr 1965 dennoch die Größe, die auf Initiative der Architekten Friedrich Kurrent und Johannes Spalt zustande gekommene Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Frank zu unterstützen. Zur feierlichen Übergabe schickte der damals 80-jährige Frank seine Nichte. Seine Wiederentdeckung durch die jungen Kollegen Kurrent, Spalt, Friedrich Achleitner, Hermann Czech und Otto Kapfinger dürfte ihn dennoch gefreut haben.

Svenskt Tenn wurde Mitte der 1970er-Jahre von seiner Gründerin an eine Stiftung verkauft, die das Unternehmen heute noch besitzt. Jüngst hat die Stiftung mit dem Haus Claeson im südschwedischen Falsterbo Franks schwedisches Hauptwerk erworben, um es zu restaurieren. Franks Möbel- und Stoffentwürfe machen nach wie vor den bei Weitem größten Teil des Umsatzes von Svenskt Tenn aus. Ihre ungebrochene Beliebtheit beruht auch auf dem bewusst eingesetzten Tante-Jolesch-Prinzip der Verknappung: Man muss schon in das Svenskt-Tenn-Stammhaus an der noblen Stockholmer Adresse Strandvägen 5 fahren, um die handwerklich anspruchsvoll verarbeiteten Stücke in Augenschein zu nehmen. Svenskt Tenn betreibt keine Filialen. Heuer macht man aber eine Ausnahme: von 25. November bis Mitte Februar 2016 werden in einem Pop-up-Store in der Wiener Operngasse 8 Möbel, Einrichtungsgegenstände und jene rund 45 in Schweden gewebten und in Frankreich und England im Siebdruckverfahren bedruckten, meist bunt floral gemusterten Frank-Stoffe zu erwerben sein, die derzeit in Produktion sind. Bei einem Bestand von rund 120 Entwürfen kann man es sich dabei leisten, das Repertoire ab und an zu modifizieren.

Trotz des extrem hohen Preislevels der Produkte sieht sich Svenskt Tenn nicht als Luxusmarke. Nicht Lifestyle will man vermitteln, sondern einen „Way of Living“. Den einst aus Wien vertriebenen Way of Living von Josef Frank, der in Schweden heute als ein Hausheiliger der schwedischen Formgebung gilt, kann man im Übrigen demnächst nicht nur in der Operngasse inhalieren: Ab 15. Dezember zeigt das MAK am Stubenring eine von Hermann Czech und Sebastian Hackenschmdt kuratierte Frank-Ausstellung mit dem treffenden Titel „Against Design“. Da wird sich wohl das eine oder andere Frank-Stück auf den Weihnachts-Wunschzetteln finden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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