Damals schrieb Alexandre Dumas Père in Wien

Wien, 23. November 1865. Wie siehtDumas Père aus? Diese neugierige Frage schwebte auf den Lippen der Meisten, welche Montag Abends gegen acht Uhrdurch die Thüren sich drängten, die zu dem kleinen Redoutensaale führten. Diese Neugier erinnerte an die der Jugend, welche einmal den Storch von Angesicht zu Angesicht sehen möchte. Was den schon etwas schlauen Knaben bewegt, wenn er des schnurrig pedantischen Vogels denkt, der die Kinder bringt, das bewegte zum Theil auch den Wiener, als er sich die Persönlichkeit vorstellte, von der die vielen bunten Geschichten herrühren, welche ihn in früheren Tagen ergötzt und aufgeregt haben.

Nun werden wir den Storch leibhaftig erblicken, der uns die „Musketiere der Königin“ und den „Grafen von Monte-Christo“ in unser deutsches Haus gebracht hat! So sprechen die Leute heimlich; so konnten sie wenigstens gesprochen haben. Aber keineswegs ging ihre Bewunderung der Schriften Dumas' mit ihrer Neugierde Hand in Hand. Sie wissenganz gut, daß das goldgestickte romantische Mäntelchen, das seiner Muse über die Schulter hängt, nicht weniger als von himmlischen Fingern gewebt und zugeschnitten wurde, und daß keine Phantasie etwas mit dem Maskenschneider gemeint hat.

Der Gebildete unterschätzt nicht das große Talent Dumas' im Erfinden von Situationen, die seltene Gabe poetischer Combinationen und den munteren Witz, unter dessen Leitung sich die Weltgeschichte in einen costümirten Ball verwandelt. Allein der Gebildete überschätzt auch nicht diesen französischen Erzähler; er schied ihn längst scharf ab von den Geistern, die „Leone Leoni“, „Nôtre Dame“ und die „Méditations“ gedichtet, so scharf, wie es die Pariser selber thun. Mr. Dumas freilich möchte uns gerneaufschwatzen, daß in ihm der Ruhm der französischen Literatur einen Abstecher nach Deutschland und Oesterreich gemacht habe; nur versteht er das Aufschwatzen nicht in dem Grade, wie das Schwatzen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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