Eleganz ganz aus Glas

Henke und Schreieck ist im Wiener Quartier Belvedere etwas wirklich Großes gelungen: der Erste Campus, das neue Hauptquartier für die Erste Bank.

Geldgeschäfte leben vom Vertrauen. Wer sein Geld zur Bank trägt, hofft heute zwar nicht mehr auf Zinsen, vertraut aber zumindest darauf, dass sich sein Vermögen dort nicht in Luft auflöst. Diese Gefahr ist, wie die letzten Jahre gezeigt haben, größer als gedacht. Den kriminellen Größenwahn, der Banken wie die Hypo Alpe Adria in den Ruin getrieben hat, werden wir noch lange teuer bezahlen. Die alte Forderung von AdolfLoos – „Das bankhaus muss sagen: Hier ist dein geld bei ehrlichen leuten gut und sicher verwahrt.“ – würde heute wohl wieder viel Zustimmung erfahren.

Für die Banken ist das nicht unbedingt erfreulich. Im Geschäft mit solchen Kunden ist nämlich nicht viel zu verdienen. Dass die Bank Austria ihr Filialnetz in Österreich drastisch reduziert, ist dafür das jüngste Indiz. Das Bankgeschäft verlagert sich zunehmend in den virtuellen Raum. Dort führt unser Geld eine Existenz, deren Wesen die meisten von uns nicht mehr durchschauen, und in dem neue Softwaretechnologien das Geldgeschäft bald fundamental verändern könnten.

Umso wichtiger ist es für Banken, im realen Raum Präsenz zu zeigen, wobei es nicht nur um das Vertrauen der Kunden geht, sondern auch um das Selbstvertrauen der Mitarbeiter. Je mehr das Filialnetz schrumpft, desto wichtiger werden dafür die Hauptsitze der Banken. Unicredit, der Mutterkonzern der Bank Austria, hat sich 2012 in Mailand ein Denkmal gesetzt: das damals mit 231 Metern höchste Hochhaus Italiens, errichtet auf einem ehemaligen Bahnhofsgelände. Die Plaza davor ist heute der meistbesuchte öffentliche Raum der Stadt, noch vor der Piazza del Duomo. César Pelli entwarf für die Bank eine verspiegelte gebogene Scheibe mit einem koketten Türmchen an einem Ende, ein 85-Meter-Finger ohne Funktion, der wie das Modell des Hochhauses aussieht, das der Torre Unicredit eigentlich hätte werden wollen.

Die Erste Bank erwarb für ihr neues Hauptquartier ein Grundstück, auf dem eine solche vertikale Geste von vornherein unmöglich war. Zwar hätte es auf dem Areal vor dem Hauptbahnhof, das von seinen Entwicklern wegen der Nähe zum Barockpalais auf den Namen „Quartier Belvedere“ getauft wurde, auch Standorte gegeben, die größere Höhen zugelassen hätten. Aber die Erste Bank entschied sich bewusst für ein Eckgrundstück am Wiedner Gürtel mit geringerer Bauhöhe, aber viel Blick ins Grün des Schweizergartens.

Auf diesem Areal von 2,5 Hektar war ein Raumprogramm mit einer Bruttogeschoßfläche von rund 120.000 Quadratmetern – berechnet ohne Kellergeschoße – unterzubringen. Damit ist der Erste Campus größer als die Wirtschaftsuniversität Wien, allerdings auf einem kleineren Grundstück, dessen Bebauungsplan eine Art Blockrandbebauung mit Innenhöfen vorsah.

Die Erste Bank schrieb im Jahr 2007 einen Architekturwettbewerb aus, für den aus 200 interessierten Büros 14 ausgewählt wurden. Die Ausschreibungsunterlagen formulierten auf 300 Seiten die Vision für das neue Hauptquartier, in dem Mitarbeiter aus den verteilten Verwaltungsstandorten in Wien zusammenarbeiten werden. Im September 2008 entschied sich die Jury unter Vorsitz von András Pálffy für das Projekt der Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck, praktisch zeitgleich mit der Insolvenz von Lehman Brothers und dem Beginn der Finanzkrise. Die dadurch verlängerte Reifezeit für das Projekt hat sich gelohnt. Den Architekten ist hier im direkten wie im übertragenen Sinn etwas Großes gelungen. Sie haben den Blockrandplan ignoriert und stattdessen begonnen, den Städtebau an dieser Stelle neu zu denken, und zwar von den Nutzern her. Die scheinbar „freien“ Formen sind geprägt vom Ansatz, jeden Arbeitsplatz zu einem speziellen Ort zu machen, mit weitem und in gewisser Weise einzigartigem Blick. Ähnliche Grundrissfiguren haben Henke und Schreieck schon in ihrem OMV-Hochhaus und in den kleineren Bürohäusern im Viertel 2 erprobt. Im Ersten Campus hat sich die Geometrie weiterentwickelt. Sie wirkt wie mit lockerer Hand hingezeichnet, in zahlreichen Wiederholungen auf der Suche nach der richtigen Linienführung. Es ist eine sehr intuitive Geometrie, die sich nur schwer einordnen lässt, aber wunderbar funktioniert.

Die Bürogeschoße sind bis hin zur Haustechnik so konzipiert, dass jeder Bürotyp möglich wäre, vom Zellenbüro bis hin zum Großraum, für den man sich letztlich – auch im Bereich des Vorstands – entschied. Die Qualität im Detail ist bemerkenswert, wofür auch die ausführenden Firmen hervorzuheben sind, vom Bauunternehmen Granit bis zum mittelständischen Fensterhersteller aus dem Südburgenland, der alle Fensterrahmen für die 40000 Quadratmeter Fassade produzierte.

Diese Fassade besteht aus einer äußeren rahmenlosen Glasscheibe und einer inneren Rahmenkonstruktion aus Holz mit Isolierverglasung und teilweise öffenbaren Fenstern. Im Raum dazwischen liegt ein effizienter Sonnenschutz, der es erlaubte, nicht verspiegeltes, sondern hochtransparentes Glas zu verwenden: In dieses Haus kann man auch bei Tag von außen hinein- und an vielen Stellen durchsehen, was für die Detailplanung neue Fragen aufwirft. Die Farben von Möbeln und Wandverkleidungen oder die Position von Pflanzen werden plötzlich zu einer Frage des äußeren Erscheinungsbildes, ebenso wie die Beleuchtung der Innenräume.

Für die Öffentlichkeit ist bei diesem Bankhaus vor allem die Sockelzone entscheidend. Hier liegt eine großzügige, teilweise durch Innenhöfe belebte Erschließungshalle mit Café, Geldmuseum, einer Bankfiliale und einem großen Veranstaltungssaal. Die Decke dieser Halle wird von v-förmigen Stützen getragen und überspanntwie ein leichtes Tuch auch den öffentlichen Raum, der die Durchquerung des Grundstücks erlaubt. Auf dieses Tuch haben die Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász einen Garten gezaubert, der im ersten Obergeschoß gewissermaßen den Schweizergarten ins Zentrum des Campus weiterführt und den Bankern als Erholungsfläche dient.

Man darf die ersten 1600 Mitarbeiter, die diese Woche einziehen, um ihren Arbeitsplatz beneiden: Elegantere und wohnlichere Büros wird man in Wien nicht finden. An einer Frage kommt man bei der Diskussion dieses Gebäudes freilich nicht vorbei: Können sich heute wirklich nur noch Banken dieses architektonische Niveau leisten? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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