Damals schrieb Bildende Kunst

Wien, 16. März 1866. Wie empfindet man die Undankbarkeit des kritischenGeschäfts tiefer, als wenn es dabei weder warm zu loben noch herzhaft zu tadeln gibt. Ist man bei den Leuten zu warm und zu herzhaft, so kann das hingehen; aber wüßten die Leser, welche die Nase rümpfen: „nicht einmal einen kräftigen Fluch bringt er über die Lippen!“, wie der Kritiker sich danach sehnt, irgend etwas ganz Abscheulichem zu begegnen, wenn schon nicht eine Lichterscheinung Abwechslung bringt in das flaue Einerlei der Mittelmäßigkeit, der ein Bisschen Talent, leidliche Technik und viel guter Wille zugestanden werden müssen. Dabei verlöre man allen guten Muth, käme nicht dann und wann eine ganz unerwartete Aufmunterung,wie uns dieser Tage durch das Feuilleton eines dualistischen Blattes, welches sofreundlich war, unsere Bemerkungen überSteinle's Cartons als gemeinsame Angelegenheit zu behandeln. So ganz die eigenenAnsichten, zum Theil die eigenen Worte in fremdem Munde wiederzufinden, erfreut immer, um wie viel mehr, wenn die Uebereinstimmung sich auf beiden Ufern der Leitha kundgibt.

Daß in den Ausstellungsräumen des Kunstvereins nicht viel Augentrost und Herzstärkung zu holen ist, hat der geneigte Leser schon der Zustimmung dieses Präludiums entnommen. Die Herren vom Kunstvereine werden leicht empfindlich, wenn man eine Bemerkung über die Eintönigkeit ihres Menu macht; wirselbst können doch nicht alle Bilder malen, heißt es da, und ein Schelm gibt mehr als er hat, so das Sprichwort. Gewiß, wenn nur unbedeutende Werke geschaffen werden, kann der Verein keine bedeutenden ausstellen, die Logik ist frappant.

Aber es kommt doch zu häufig vor, daß wirklich Schönes, oder über das Mittelgut Hinausragendes in Wien zur Schau gebracht wird, aber nicht im Kunstverein, Werke österreichischer Kunst, aber nicht im Oesterreichischen Kunstverein. Das könnte nicht geschehen, wenn dieser letztere in unserem Kunstleben die Stellung einnähme, welche ihm zukommt und welche er haben könnte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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