Aus Mangel kreativ

Findige Planung und Finanzierung, günstige Angebote seitens der Bauindustrie und viele freiwillige Helfer: Dank dieses Zusammenspiels wurde aus einem ehemaligen Internat ein Heim für Flüchtlinge. Geschehen in Innsbruck.

Seit 1839 ist die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck ansässig. Mit Bildungseinrichtungen von der Kinderkrippe über ein Gymnasium bis zu einer Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik, einem Sanatorium und einem Seniorenpflegeheim ist sie ein wichtiger Faktor im sozialen Leben der Stadt. Das durchgrünte Ordensareal ist weitläufig, eine kleine Stadt in der Stadt, die immer wieder den Erfordernissen der Zeit entsprechend ergänzt wurde. Als die Verwertung des seit 2000 leer stehenden ehemaligen Mädcheninternats anstand, zog der Orden die Architektin Barbara Poberschnigg (Studio Lois) als Beraterin bei. Eine Adaptierung für betreutes Seniorenwohnen wäre im überalterten Stadtteil Saggen eine naheliegende und lukrative Option gewesen, doch 2014 entschieden sich die Schwestern dafür, das Haus als Heim für Flüchtlinge bereitzustellen.

Das Land Tirol beauftragte eine Belegungsstudie und projektierte eine provisorische Adaptierung um 2,5 Millionen Euro. Dieses Provisorium hätte den kasernenartigen Charakter des Hauses alles andere als verbessert. Es hätte eben „nur eine Belegung, aber kein Wohnen“, so Poberschnigg, gewährleistet. Kurzum, eine suboptimale Situation, nicht nur für potenzielle künftige Bewohner, sondern auch für die Atmosphäre auf dem Ordensareal. Um diese Summe, so ihre Überlegung, müssten die 2500 Quadratmeter Nutzfläche auch besser als bloß minimalste Standards erfüllend umzubauen sein – etwas Kreativität bei Planung und Finanzierung vorausgesetzt.

Bei der Bauindustrie wurde daher zunächst abgefragt, welche Bauelemente günstig zu haben wären. So gut wie alle Firmen waren kooperationsbereit und boten Materialien, die entweder nicht mehr ganz den heute üblichen Standards entsprechen oder Auslaufprodukte waren. So kamen bei den Fenstern Zwei- statt Dreischeibenverglasungen zum Einsatz, als Rahmenfarbe blieb die günstigste Variante in Weiß, und bei den Bodenbelägen reduzierte sich aus Kostengründen die Auswahl auf verschiedene Grautöne. Für die Wände stellte ein Tiroler Hersteller farbige Anstriche zum Preis eines weißen zur Verfügung. Auf dieser Basis machte sich das Studio Lois daran, aus dem Vorhandenen und kostengünstig Verfügbaren das Bestmögliche herauszuholen.

Anstatt eine Fluchttreppe außen liegend anzufügen, erhielt das Gebäude nach Osten eine Verlängerung um eine Achse, die ein zweites geschlossenes Treppenhaus birgt und darüber hinaus pro Geschoß Platz für eine kleine Familienwohnung mit Eckbalkon bietet. Weitere Balkone vor den gemeinschaftlich genutzten Räumen lockern die einst monotone Lochfassade des Bestandes auf und zeigen: „Hier wird gewohnt.“ Entlang der Sennstraße ist ein niedriger, zwei geschützte Höfe umschließender Zubau projektiert. Er wird in Angriff genommen, sobald die Finanzierung gesichert ist. Ein Fenster und das alte Eingangsportal wurden nicht erneuert, da an diesen Stellen die Erweiterung andocken wird. „Der einzige Luxus, den wir uns geleistet haben, war nachzudenken“, betont Barbara Poberschnigg.

Trotz knapper finanzieller Ressourcen ist hier keine Mangelarchitektur entstanden, bei der aus jeder Ecke und jedem Detail der Sparstift winkt. Das Studio Lois hat bewiesen, dass die Architektenarbeit nicht die teure Zutat ist, als die sie landauf, landab von Bauträgern und Wohnbauabteilungen denunziert wird, sondern die Hauptsache. Mit wenigen, klug eingesetzten Gestaltungsmitteln gelang es, Wohnlichkeit zu schaffen. Zu diesem Nachdenken gemeinsam mit den Bauherrinnen gehörte auch die Namensfindung. „HERberge für Menschen auf der Flucht“ wurde das Haus benannt. Der Grafikdesigner Thomas Schrott hatte schon vor Baubeginn ein Logo entworfen, was laut Architektin Poberschnigg den Auftritt vor potenziellen Sponsoren erleichterte. Von Schrott stammt auch das nur aus Piktogrammen und Ziffern bestehende Leit- und Orientierungssystem.

Die Zimmer sind klein, der Raster des Bestands gab die Größen der Zimmer vor, die jeweils mit dem Notwendigsten – Betten, Tisch, Stühlen, Stauraum und einer Waschgelegenheit – ausgestattet sind. Für größere Familien können jeweils zwei Zimmer über Verbindungstüren gekoppelt werden. Pro Geschoß gibt es eine Wohnung mit Bad für Frauen mit Babys sowie gemeinsame Sanitärräume, für Frauen und Männer getrennt. Vor den gemeinsamen Wohnzimmern, die von anderen gemeinschaftlichen Einrichtungen wie Spielzimmern, einem Nähzimmer und den Gemeinschaftsküchen flankiert sind, weitet sich der Gang auf. Hier kamen raumhohe Schiebetüren aus transluzenten Kunststoffstegplatten zum Einsatz, die offen und einladend wirken, aber der Umwandlung in Wohneinheiten vorbeugen. Mehr als 25 bis 27 Personen pro Geschoß würden die Hausgemeinschaft zu sehr belasten.

Die Wandfarben – wärmendes Gelb an den Wänden der nordseitigen Zimmer, kühlendes Blau an der Südseite, in den Gemeinschaftsräumen gedecktes Grün oder Violett – tragen mit den weißen Vorhängen viel zum wohnlichen Milieu bei, das gewiss auch die Bereitschaft, in der HERberge mitzuarbeiten, fördert. Bereits 70 Personen engagieren sich in verschiedenen Projekten. In einer anderen Flüchtlingsunterkunft fiel Barbara Poberschnigg auf, dass die Gänge mit Schuhen vollgestellt sind. Schuhgarderoben aus Baustahlgitter neben den Wohnungstüren schaffen daher dem Chaos Abhilfe. Fenster am östlichen Ende der Gänge bringen Licht in die Gebäudemitte, gemusterte Tapeten und Sitzgruppen machen diese Zonen zu gemütlichen Treffpunkten.

Die Möbel in den Gemeinschaftsräumen stammen vom Klosterdachboden und aus dem Fundus von Altwarenhändlern – so ergab sich ein apartes Ambiente im Stil der Sixties. Finanziert wurde die Einrichtung aus Spenden; zur Ausstattung der Räume mobilisierte man 200 Personen, die an einem Wochenende unter der Regie der Architektin je nach Fähigkeit die vom Studio Lois entworfenen Möbel aus Schichtstoffplatten zusammenschraubten, Vorhänge anbrachten oder Zimmer putzten.

Seit Fertigstellung des Hauses hätten sichdie Bedenken aus der Nachbarschaft wegen der Flüchtlingsunterkunft gelegt, berichtet Max Holzhammer, Finanzverwalter des Ordens. Und jenen, die meinen, es sei eine Luxusunterkunft, entgegnet er, dass „zu dritt auf 17 Quadratmetern zu wohnen wahrlich kein Luxus“ sei. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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