Der unvertretene Bundestag

Wien, 2. Juni 1866. Europa seufzt unterder Last der Rüstungen, welche es zu tragen hat und sieht mit Spannung den Pariser Conferenzen entgegen, von welchen uns nur noch die Tage trennen, die zur Feststellung des Eröffnungstermins und zur Reise der Diplomaten nach Paris erforderlich sein werden.

Die Schwüle der politischen Situation wird nur etwas abgekühlt durch die erlustigenden Bocksprünge, mit welchen die Berliner Officiösen die in der Abwicklung der großen Tagesfragen eingetretene Pause auszufüllen suchen.

Die R. A. Z. hat wieder einmal eine Schwenkung gemacht und sich gegen den in letzter Zeit von der preußischen Politik mit ungewohnter Zartheit behandelten deutschen Bund ins Feld gelegt. Das Organ des Herrn v. Bismarck kann nicht einsehen, was und wen ein Gesandter des Bundestags auf der Conferenz vertreten soll. Der Bund sei bereits durch Preußen und Oesterreich vertreten.

In der That! Preußen – Oesterreich wird von dem officiösen Blatte aus Gefälligkeit nur noch einstweilen mitgenommen – ist ja auch Deutschland; das wurde oft genug gesagt, wozu bedarf es noch eines Gesandten des Bundestags? Das edle Organ will aber auch herausgefunden haben, daß die Vertretung des Bundes völker- und bundesrechtlich unzulässig sei, weil der Bundestag in eine Majorität und eine Minorität getheilt sei, und letztens unvertreten bliebe. Wir wissen nicht, aus welchen Quellen das Bismarck'sche Organ seine Kenntnisse des Völker- und Staatsrechtes geschöpft hat. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.