Lager-Schanzenbau bei Wien

Wien, 9. Juni 1866. Bei dem Interesse, das die Bevölkerung Wiens an dem Umstande nimmt, daß in nächster Nähe von Wien Befestigungs-Arbeiten in großem Maßstabe ausgeführt werden.

Wien, 9. Juni 1866. Bei dem Interesse, das die Bevölkerung Wiens an dem Umstande nimmt, daß in nächster Nähe von Wien Befestigungs-Arbeiten in großem Maßstabe ausgeführt werden, die den Zweck haben, die Hauptstadt und die wichtigen Donau-Uebergänge nächst derselben zu schützen, ein Umstand, dessen sich schon die Polemik bemächtigt hat, halten wir es der Sache angemessen, eine populär gehaltene Abhandlung über diesen Gegenstand zu bringen, welche im nächsten Hefte der vom Hofrath Stressleur redigirten „Oesterreichischen militärischen Zeitschrift“ erscheinen wird, und uns vom genannten Herrn Redacteur zur Verfügung gestellt wurde.

Wien, im Herzen Europas an der Kreuzung der wichtigsten Communicationen liegend, war von jeher feindlichen Angriffen ausgesetzt. Die Geschichte Wiens gibt Zeugenschaft hievon. DieStadt mußte demnach stets durch Befestigungen gedeckt werden. Plötzlich erfolgte 1858 der Anspruch: „Wien hat aufzuhören, eine Festung zu sein.“ Seitdem sagen die Soldaten: „So kann es nicht bleiben: Die strategische Lage Wiens ist so wichtig, daß es wieder befestigt werden muß, nur in einer anderen Art. Auch in Frankreich und England hat man an militärischen Schutz für die Hauptstädte gedacht. Paris ist befestigt, und im freien England hat man nach dem Feldzuge 1859 aus Besorgnis für London wegen einer französischen Invasion bei 200 Millionen Gulden für neue Befestigungsbauten votirt; Lord Overstone machte in schaudererregender Weise auf die Folgen aufmerksam, welche aus dem Verluste der Hauptstadt hervorgehen würden.“

Wiens Bürger dagegen sagen: „Die Armee soll offensiv vorgehend, den Krieg lieber in Feindesland hinüberspielen, sie soll die Zugänge nach Wien weiter außen verschanzen und lieber weitab Schlachten liefern, als die Stadt selbst zu gefährden und durch Festungsbauten in ihrer inneren Entwicklung zu hemmen.“ Nach unserer Ansicht haben mehr oder weniger beide Theile Recht; beiden kann aber auch Rechnung getragen werden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2016)

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