Vom Vorteil, schlecht zu hören

In eine der demokratischen Vorversammlungen in Berlin zur Wahl der Landtags-Deputirten war jüngst ein Conservativer gerathen und hielt eine Rede, in der er seine Grundsätze klar und deutlich auseinandersetzte.

Wien, 30. Juni 1866. In eine der demokratischen Vorversammlungen in Berlin zur Wahl der Landtags-Deputirten war jüngst ein Conservativer gerathen und hielt eine Rede, in der er seine Grundsätze klar und deutlich auseinandersetzte. Diese Rede wurde von den Anwesenden mit den Zeichen des Mißfallens begleitet; der Redner ließ sich aber nicht stören und verließ erst, als er sich vollständig ausgesprochen, unter den höflichsten Verbeugungen seinen Platz. Dann äußerte der Redner zu seinem Gesinnungs-Genossen, er habe gar nicht geahnt, daß es in diesem Bezirke so viele Conservative gäbe, und erregte durch diese Bemerkung noch viel größeres Erstaunen, als durch seine bisherbewiesene stoische Ruhe. Endlich kam man jedoch dahinter, daß der Mann halb taub war, und daß er all das Geschrei, welches ihn umtobt, für Beifalls-Bezeigungender Zuhörer gehalten hatte.

Bei einer anderen Vorwahl wurde ein Mann vorgeschlagen, der bereits früher Wahlmann gewesen war, und seine Stimme stets den Candidaten der Fortschrittspartei gegeben hatte. Aufgefordert, sich über seine Gesinnung auszusprechen, erklärte er: „Meine Herren! Ich bin viel zu dumm, als daß ich Ihnen sagen könnte, was ich eigentlich will, das verstehen ja die viel besser, welche gewählt werden. Uebrigens habe ich immer noch beim Eingang ins Wahllocal einen Zettel bekommen, und so wirds auch wol jetzt wieder sein. Nun, wer da drauf steht, den wähle ich.“ – Unter Hurrah wurde darauf dieser nette Candidat von der Liste gestrichen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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