Auf der Rolltreppe zur Antike

Vor 20 Jahren wurde vor der kroatischen Insel Lošinj eine der besterhaltenen Bronzestatuen des griechischen Altertums entdeckt. Jetzt hat man ihr ein eigenes Museum errichtet. Ein Lokalaugenschein in der Inselhauptstadt, Mali Lošinj.

Der Fund, den ein belgischer Tourist 1996 beim Tauchen vor der kroatischen Insel Lošinj machte, entpuppte sich nur wenig später als Sensation: In 45 Meter Tiefe lag eine der besterhaltenen griechischen Bronzestatuen, einen überlebensgroßen Athleten darstellend, der nach dem Kampf Öl, Sand und Schweiß mit einem Schaber von seinem Körper entfernt. Der ursprünglich aus sieben Einzelteilen zusammengesetzte Jüngling mit dem leicht melancholischen Gesichtsausdruck war, noch unbenutzt, im zweiten Jahrhundert vor Christus auf einem römischen Schiff zu seinem Aufstellungsort an der oberen Adria unterwegs, den er, wohl bei einem Sturm von Bord gefallen oder geworfen, nie erreichte. Zwischen zwei Felsen waagrecht stecken geblieben, sank er nicht weiter; Fotos vom Fundort zeigen das deutlich erkennbare, nach oben gewandte Gesicht.

Die Statue, die einer 1896 entdeckten im Wiener Ephesos-Museum ähnelt, aber weitaus besser erhalten und sogar noch im Besitz ihres originalen Sockels ist, dürfte die antike Kopie eines im Umkreis des Bildhauers Lysipp im vierten Jahrhundert vor Christus hergestellten Modells sein. Für die Datierung wurden neben chemischen Analysen des Materials im Inneren der Statue gefundene Samenkörner ebenso herangezogen wie der zeittypisch modische Schnitt der kurzen Locken, durch die sich der Athlet noch kurz vor dem vom Bildhauer festgehaltenen Moment des Abstreifens des Reinigungswerkzeugs mit der Hand gefahren zu sein scheint.

Zuerst in situ untersucht, dann geborgen, entsalzt, dokumentiert, durchleuchtet, stabilisiert, sieben Jahre lang akribisch restauriert und auf Welttournee geschickt, hat der kroatische Schaber (Apoxyomenos) nun seinen ersten Aufstellungsort in einem eigenen Museum in der Inselhauptstadt Mali Lošinj gefunden. Angewandt wurde für das jeweils zur Hälfte der Gemeinde und dem kroatischen Staat unterstehende Museum ein Gesetz, nach dem Antiken an ihrem Auffindungsort verbleiben sollen. Als Standort wählte man den zuletzt als Tanzsaal genutzten Kvarner-Palast an der Hafenpromenade des Städtchens. Aus einem Wettbewerb ging als Sieger ein Projekt des in Rijeka ansässigen Büros der Architekten Saša Randić und Idis Turato hervor.

Der Aufgabe, ein Museum für ein einziges Exponat zu inszenieren, das wissenschaftliche Ansprüche erfüllt, andererseits aber de facto hauptsächlich von Sommerurlaubern besucht wird, begegnete man mit einem speziellen Konzept: Ein Museumsbesuch ist innerhalb der Öffnungszeiten nur nach Voranmeldung mit einer Führung in Gruppen von maximal 20 Personen möglich, die, angetan mit Einweg-Überziehschlappen, eine szenografierte Sinnenwelt durchwandern. Das kann man populistisch finden – das oberflächliche touristische Abhaken lokaler Museen an Schlechtwettertagen dürfte aber jedenfalls zugunsten einer soliden und dennoch kurzweiligen Vermittlung der Faszination archäologischer Arbeit und antiker Kultur überhaupt vermieden werden.

In die historische Struktur des Gebäudes, dessen Inneres nicht erhalten werden musste, wurde von oben eine neue, abgehängte Stahlkonstruktion gesetzt, ähnlich wie auch die Statue selbst in ihrem Inneren durch eine metallene Stützkonstruktion stabilisiert wurde. Hinter dem Eingang von der sonnenübergossenen Promenade sehen sich Besucher in einen Raum mit ultramarinblauen Wänden mit schwammartiger Putzstruktur gespült, mit einer hängenden Decke aus in der lokalen Werft geschweißtem weißem Blech, die an einen Schiffsbauch denken lässt. Alles klar, hier sollen wir uns auf dem Meeresgrund befinden. Desgleichen im nächsten Raum, zugänglich über die einzige Rolltreppe der Insel, der auffallend heruntergekühlt und allseitig mit schwarzem Noppenkautschuk ausgeschlagen ist. Er enthält eine ausführliche Dokumentation des Statuenfundes in viersprachig beschrifteten Leuchtkästen. Optisch, olfaktorisch und – übertriebenerweise – über Soundcollagen auch akustisch unterschiedene Räume schließen sich an: Auf einen zur Gänze mit geknüpften wollenen Wasserpflanzen-Gobelins ausgeschlagenen Kinoraum (daher die Patschen!), in dem ein Video zur Bergung und Restaurierung des Objekts gezeigt wird, folgt eine Zone mit Olivenholzverkleidung. In diesem Bereich ist ein erstes Original-Exponat zu sehen: ein Mäusenest, das im linken Bein des kroatischen Apoxyomenos gefunden wurde, nebst den Essensvorräten der ansässigen antiken Mäusefamilie, die im anderen Bein gelagert waren. Museumspädagogen hätten sich diesen Umstand nicht besser ausdenken können.

An mehreren Stellen sind auch überraschende Schrägdurchblicke, quasi aus der Mäuseperspektive, nach oben zur Statue möglich, die schließlich in einem mit durchscheinendem weißem Stoff und hinterleuchtetem Glasboden ausgestatteten Raum präsentiert wird. Ganz nah kann man dem antiken Männermodel hier kommen, seine aus rotem Kupfer eingelegten feinen Lippen und Brustwarzen betrachten und die leeren Augenhöhlen, durch die die neue Stahlkonstruktion im Inneren des Kopfes sichtbar wird.

Einen letzten Blick auf den Star des Museums erlaubt am Ende des Parcours noch der ein Stockwerk höher liegende „Kaleidoskop-Raum“, der mehr denn je mit der Wahrnehmung der Besucher spielt: Prismatische Deckenspiegel rücken den Hafen über das Meer und dieses über den Himmel, bunte Lounge-Möbel fordern zum abschließenden Herumlungern und zu weiteren Reflexionen über das Oben und das Unten, Meer, Himmel und Land, über heute, gestern, morgen und ihre Beziehungen heraus.

Dazu gehört dann auch die touristische Realität der Urlaubsinsel Lošinj, die rund um den Apoxyomenos eine umfassende Merchandising-Maschinerie mit Apoxyomenos-Menüs, -Schmuck, -Naturkosmetik, -Honig, -Tee und sogar Apoxyomenos-Massagen anbietet. Das Streben nach High-Class-Touristik bringt es mit sich, dass alle Hotels, mit teils hinterfragbaren Um- und Zubauten, auf Vier- oder Fünfstern-Standard aufgerüstet werden. Schlechte Karten für die Anlagen der Nachkriegszeit wie das Hotel Helios, eine luftige, filigrane Pavillonanlage des Architekten Zdravko Bregovac aus dem Jahr 1960, versteckt im Kiefernwald, die, derzeit als Unterkunft für das Personal der umliegenden Häuser genutzt, bald abgerissen werden soll. Das ist wohl der Lauf der Geschichte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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