Wien, eine offene Stadt

Wien, 12. Juli 1866. Wenn wir gestern Früh davon gehört hätten, daß der Bürgermeister von Wien und seine beiden Stellvertreter eine Audienz von Se. Majestät dem Kaiser erbeten haben, so würden wir in diesem Momente allgemeiner Bedrängnis, und auf diese Aussprache des Monarchen an seine Völker von den Repräsentanten der Großcommune nur die eine Antwort erwartet haben: Eure Majestät rechnen auf unser Vertrauen, wir auf das Allerhöchstihrige.

Geben Sie uns einen kleinen Theil der hundertsechzigthausend Gewehre, die im Arsenale liegen. Wir werden kampffähige Männer der Residenz zur Landesvertheidigung entsenden, und die Zurückbleibenden werden, bewaffnet, Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. –

Diese Erwartung wurde in überraschender Weise getäuscht. Die Herren Bürgermeister glaubten, die Gefühle der Bevölkerung nur damit zum richtigen Ausdruck bringen zu können, indem sie den Kaiser baten, er möchte Wien nicht den Gefahren eines Kampfes aussetzen! Nebenbei, und mit gleichem Verständnis der Zustände des Reiches, welches, zum Theil vom Feinde überschwemmt, zum Theil von seiner Invasion bedroht, sich ganz besonders zur Erörterung von Verfassungsfragen eignen dürfte, fügten sie im Namen der Bevölkerung den gewiß gutgemeinten Wunsch bei, Se. Majestät möge in den staatsrechtlichen Verhältnissen jene Aenderungen eintreten lassen, welche die Gemüther auch für die Zukunft zufriedenstellen könnten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2016)

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