Kein zweites Königgrätz

Wien, 18. Juli 1866. Die Heere Oesterreichs und Preußens stehen sich neuerdings zum Kampf gerüstet gegenüber, größer an Zahl, stärker an Geschützen als in den mörderischen Schlachten von Münchengrätz, Skalitz und Königgrätz.

Wenige Tage, vielleicht nur wenige Stunden trennen uns von einer Entscheidungsschlacht im vollsten Sinne des Wortes. Wir haben diesmal wahrscheinlich die Uebermacht an Truppen, jedenfalls eine fast uneinnehmbare Stellung und die unter der Führung des Siegers von Custozza neubelebte Kampfluft der Soldaten, die ihrer Aufgabe bewußt sind, für uns, --- der Gegner hat dafür den Vortheil eines anerkannt besseren Gewehres, welches die etwaige Minderzahl weitaus aufwiegt, und eines durch ununterbrochene Erfolge hervorgerufenen Selbstvertrauens der Mannschaft, welches oft am Tage der Schlacht entscheidender wirkt, als die feinsten Combinationen der geschicktesten Strategen.

Beide Theile kennen diese Vor- und Nachtheile ihrer Lage und wissen ganz genau, was auf dem Spiele steht. Eine verlorene Schlacht an der Donau bei Wien, wenn auch der Verlust beiweitem den von Königgrätz nicht erreichen sollte, und der taktische Verband dadurch gar nicht gelockert würde, hätte wahrscheinlich eine neue Concentrierung bei Komorn, als dem nächstgelegenen Stützpunkte, zur Folge, und gäbe die von der Donau südwestlich gelegenen Landestheile ebenso preis, als dies nach der Schlacht von Königgrätz bezüglich des Nordwestens der Monarchie der Fall war.

Den Feind hingegen könnte selbst die leichteste Schlappe, die er bei der Forcirung der Donaulinie erlitte, zu einer retrograden Bewegung nöthigen, die auf einer unverhältnismäßig verlängerten Operationslinie, da noch alle festen Plätze in unseren Händen, keinen Ruhepunkt fände und daher für ihn nothwendig von den verderblichsten Folgen begleitet wäre. Preußen würde aber die erste Niederlage wol noch schwerer verwinden, als Oesterreich ein zweites Königgrätz. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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