Sparen mit Verstand

Mit seinem Programm zum „smarten“ Wohnen sucht der geförderte Wiener Wohnbau nach der Quadratur des Kreises: günstige Mieten trotz hoher Qualität. Ein erstes Ergebnis, geplant von Geiswinkler & Geiswinkler, beweist: Das geht. Wir müssen nur lernen, Urbanität in der dritten Dimension zu leben.

Hinter dem Hauptbahnhof befindet sich ein Großlabor des geförderten Wiener Wohnbaus: das Sonnwendviertel. Jüngstes Experiment in diesem Labor ist ein Wohnhaus, das der Bauträger „Heimbau“ an der Alfred-Adler-Straße entwickelt hat. Das Grundstück liegt an der Schnittstelle zwischen der gründerzeitlichen Bebauung und dem neuen Stadtteil auf dem ehemaligen Bahngelände. Es ist lang und schmal, mit einer 150 langen straßenseitigen Front nach Südosten und einem Innenhof mit gründerzeitlichen Hoffassaden. Ein markantes Gegenüber findet der lange Riegel an der Kreuzung zur Sonnwendgasse, wo ihm ein elfgeschoßiges Turmhaus aus der 1960er-Jahren einen vertikalen Kontrapunkt setzt.

Das Haus ist eines der ersten in Wien, in dem der Großteil der Wohnungen (116 von 148) nach dem Prinzip des sogenannten Smart-Wohnens im geförderten Wohnbau errichtet wurde. Smart-Wohnen soll „leistbaren“ Wohnraum schaffen, ohne den hohen Standard des geförderten Wohnbaus in Wien aufzugeben. Erreicht werden soll das durch Bruttomieten von maximal 7,50 Euro pro Quadratmeter, Reduktion der Quadratmeterflächen der Wohnungen und eine hohe Bebauungsdichte, die den Anteil der Grunderwerbskosten reduziert. Das Smart-Programm ist nicht unumstritten: Was die einen als logischen Schritt zur Reduktion auf das ökonomisch Vertretbare sehen, ist für die anderen ein Rückschritt in Richtung „Wohnen für das Existenzminimum“, noch dazu in gefährlich dichter Packung.

Mit dem Wohnbau in der Alfred-Adler-Straße haben die Architekten Kinayeh und Markus Geiswinkler bewiesen, dass Smart-Wohnen ohne Abstriche bei der Qualität funktionieren kann. Ihr Wohnbau, dessen reine Baukosten bei 1385 Euro pro Quadratmeter lagen, ist ein „Stadtregal“ mit einfachem Konstruktionsprinzip: tragende Außenwände, denen zur Straße hin ein zwei Meter tiefes Gerüst mit Balkonen vorgesetzt ist, zum Hof hin Laubengänge mit ebenfalls zwei Meter Breite, die sich aber an mehreren Stellen zusätzlich aufweiten, als Abstellplätze für Fahrräder, aber auch als geschlossene Räume, Waschküche oder Werkstätten. Der Laubengang spart Kosten, da er die Erschließung vieler Wohnung mit wenigen Aufzügen erlaubt; er ist aber auch ein Begegnungsraum, wenn er – wie hier – mit Zusatzfunktionen angereichert wird. Die Küchen haben Fenstertüren zum Laubengang, und man darf erwarten, dass doch manche Bewohner die Gelegenheit nutzen, die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem für ein paar Stunden am Tag aufzuheben.

Diese effiziente Nutzung von Raumzonen ist angesichts der geringeren Grundflächen ein Kernprinzip des Smart-Wohnens. Die Wohnungsgrößen liegen mit 40, 55 und 70 Quadratmetern deutlich unter den sonst üblichen. Im C-Typ mit 70 Quadratmetern lassen sich im maximalen Ausbau eine Wohnküche, ein Elternschlafzimmer und zwei Kinderzimmer unterbringen. Angesichts dieser Dichte ist es wichtig, dass alle Räume Fenstertüren und einen zumindest 80 Quadratmeter tiefen Balkon besitzen. Vor den Wohnräumen weiten sich die Balkone zur Straße hin auf gut nutzbare zwei Meter auf. Damit diese tiefen Balkone die Wohnungen nicht verschatten, sind sie stockwerksweise gegeneinander versetzt, sodass über einem Balkon ein zweigeschoßiger Luftraum liegt. Gemeinsam mit der Bepflanzung, die im Moment noch etwas schütter aussieht, belebt dieser Versatz die straßenseitige Fassade des Stadtregals, die sonst leicht monoton wirken könnte.

Neben den Laubengangwohnungen im langen Riegel gibt es an der tieferen Stelle des Grundstücks zwei Quertrakte, die einen kleinen, öffentlich zugänglichen Hof umschließen. Dieser Hof ist Teil eines Systems von Fußwegen, das im Sonnwendviertel die Innenhöfe der Blockrandbebauung miteinander verbindet. Die Architekten haben hier aus diesem Prinzip einen städtischen Raum mit besonderer Qualität gemacht, der nicht nur räumlich überzeugt, sondern auch durch Geschäfte im Erdgeschoß städtisches Leben anziehen wird. Die Verbindung zur Straße erfolgt nicht durch einen schmalen Durchgang, sondern durch einen breiten, gedeckten Stadtraum, für den im Erdgeschoß sechs Achsen des Stadtregals geöffnet wurden. Dieser Stadtraum ist quasi das öffentliche Foyer für die beiderseits liegenden Portale zu den Liften und Laubengängen. Gewünscht hätte man sich an dieser Stelle eine Station der hier vorbeiführenden Buslinie. Ein veritabler Schildbürgerstreich ist aber, dass der Fußweg, der von der Stadtplanung hier geplant war, keinen Übergang bekommen hat, sondern den Fußgängern einen Umweg von 150 Metern zugemutet wird, wenn sie sicher die Straße queren wollen. Überhaupt scheint die Kunst, eine Straße zu bauen, in Vergessenheit geraten oder im Niemandsland zwischen Verkehrsplanung und Freiraumplanung verkümmert zu sein. Derart unwirtlich breite Straßenräume wie im Sonnwendviertel hat die Stadt schon lange nicht mehr gesehen. Der Verkehr wird hier sicher gut vorankommen; bleiben möchte in dieser Straße niemand.

Das ist besonders schade, da es im neuen Gebäude selbst gelungen ist, eine durchgängig mit Geschäften oder öffentlichen Nutzungen belebte Erdgeschoßzone mit einer überdeckten Arkade zu schaffen. Zum Glück haben diese Nutzungen auch eine Sichtverbindung zu dem schönen, von den Gartenarchitekten Auböck und Kárász geplanten Hof. In dessen halb öffentlichem Teil haben sie die knappe Fläche mit einer Dschungellandschaft im militärischen Camouflagemuster ausgestattet, die sich wie ein Teppich an einer Schmalseite des Hofs hochzieht. Im öffentlichen Bereich gibt es runde, teilweise begrünte Sitzkreise.

Insgesamt lässt dieses Projekt den Schluss zu, dass Smart-Wohnen tatsächlich ein schlaues Konzept ist. Es wird dann erfolgreich sein, wenn es konsequent den Weg geht, den die besten der Wiener Wohnbau-Architekten im Moment verfolgen, nämlich die Stadt ins Haus zu holen, die Erdgeschoße zu beleben und halb öffentliche Erschließungszonen bis in die obersten Geschoße als Begegnungszonen auszubilden. Selbst wenn die Bewohner dieses Angebot nicht sofort annehmen, ist es essenziell, um die Dichte in dieser Art von Bebauung nicht nur erträglich, sondern als bereichernd und aktivierend zu empfinden. Urbanität in der dritten Dimension zu leben müssen auch versierte Stadtbewohner noch üben. Für diese soziale Innovation braucht es Erfindungsreichtum und räumliche Angebote, deren Nutzung noch nicht ausformuliert ist. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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