Damals schrieb Kunst und Cur

Wien, 14. September 1866.Daß die Menschen besser sind als ihr Ruf, das zeigt ihr Verhalten gegen Leidende. Wo sie eine blässere Wange oder ein getrübtes Auge zu bemerken glauben, da sind sie sofort mit Verhaltungs-Vorschriften bei der Hand, machen den Gesunden krank aus Einbildung, vor Schreck oder durch ihre Behandlung, und würden jeden Kranken von allen irdischen Schmerzen befreien, der gehorsam alle Curen durchmachen wollte, welche ihm als sichere Rettung angepriesen werden.

Die bildende Kunst – daß die nicht ganz klar aus den Augen schaut, unsicher auftritt, das erkennt Jedermann. „Phylax, der so manche Macht . . .“ hatte deren nicht mehr, und erhielt trotz „Krummholzöl und Mithridat“ nicht halb soviel einander widerstrebende Hausmittel. Er ging darauf; die Kunst hat glücklicherweise ein zäheres Leben, und wird hoffentlich sich allen guten Freunden und Quacksalbern noch dadurch dankbar beweisen, daß sie ihnen schöne Monumente setzt.

Das Durcheinander von Forderungen und Recepten darf uns nicht bange machen. Wollen die Einen die Kunst in eine Uniform stecken und auf Staatskosten drillen lassen, die Anderen eine künstlicheWildnis für sie präpariren, damit sie in Unfreiheit sich entwickeln könne; machen diese den Glauben, jene den Unglauben zu ihrem Vormunde, schickt A. sie zu der Antike, B. zum Mittelalter und C. zu den neuesten Franzosen in die Schule; behauptet X., vor allem müsse den Künstlern eine sorgenfreie Existenz bereitet werden, und ist Y. der Ansicht, daß diese nichts leisten, weil es ihnen viel zu gut gehe; mitten in solchem Wirrsal wächst die Gemeinde, welche sich zu dem Glauben bekennt, das Leiden der Kunst könne nicht an ihr allein curirt werden; sie bedürfe gesunder Luft und Nahrung, dann werde sie sich schon selbst helfen. Je allgemeiner echte Bildung, je geläuterter der Geschmack, je mächtiger das Bedürfnis nach Schönheit des Lebens und je mehr dem ganzen Volke die Möglichkeit gegeben werde, dies Bedürfnis zu befriedigen, desto kräftiger werde der Baum der Kunst gedeihen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.