Hin und weg

Kampfzone Denkmalpflege: zwei Beispiele aus Wien, eine Buchhandlung in der Innenstadt und die Villa Beer in Hietzing. Wo schaut das Denkmalamt in dieser Stadt hin, und wo schaut es weg?

Da war doch was. Immer an dieser Ecke, bei Spaziergängen durch die Wiener Innenstadt, gab es diesen kurzen Moment der Irritation: ein einfaches Geschäftsportal mit drei Öffnungen, von denen zwei als Schaufenster ausgebildet sind und die dritte den Eingang darstellt. Das Alter dieses Portals ist schwer einzuschätzen. Mit seinen Fensterrahmen aus Holz könnte es historisch sein, aber dagegen spricht eine eigenartige Asymmetrie der Komposition. Die Schaufenster wirken wie bewegliche Elemente, die sich vor die Fassade schieben oder klappen. Ihre Tiefe reduziert sich an diesen Stellen auf knapp zehn Zentimeter; tief genug, um das zu präsentieren, womit dieses Geschäft handelt, nämlich Bücher.

Zweifel, ob man es nicht vielleicht doch mit einem historischen Portal zu tun hätte, lösten sich bisher spätestens dann auf, wenn man das eigentlich irritierende Element dieses Portals nicht als spätere Zutat, sondern als integralen Bestandteil erkannt hatte: eine Reihe von bunt gefärbten, rechteckigen Glasplatten, gerahmt in schmale Aluminiumprofile, die in einem ausgefeilten Rhythmus über und neben den Öffnungen angeordnet waren und diese miteinander verbanden. Auch die Sockel der Schaufenster waren mit solchen Platten geschützt, wobei diese im Sockelbereich in Dunkelblau und Purpurrot ausgeführt waren, im oberen Bereich abwechselnd in Purpur- und hellem Rubinrot.

Die Komposition dieser Fassade entsprach einem Musikstück mit klar komponierten Harmonien, Klangfarben und Obertönen. Entworfen wurde sie Mitte der 1980er-Jahre von der Wiener Architektin Elsa Prochazka. Kleinarchitekturen waren zu dieser Zeit das Hauptgeschäft einer jüngeren Generation von Architekten, zu denen unter anderen Hermann Czech mit seinen Cafés und Bars oder Helmut Richter und Heidulf Gerngroß mit dem Restaurant Kiang gehörten. Im Spannungsfeld zwischen Czechs raffiniertem Manierismus und dem Hightech-Handwerk von Richter/Gerngroß nimmt das Werk von Elsa Prochazka eine Zwischenposition ein, in der im Alltäglichen das Besondere aufblitzt.

Vor Kurzem wurde die Fassade des denkmalgeschützten Hauses, in dem die Buchhandlung untergebracht ist, saniert. Und seither sind die Glastafeln weg. Das ist, als hätte man in einer Symphonie den Bläsersatz eliminiert. So steht man nun vor dem Rest dieses Portals und fragt sich: Wie konnte das passieren? Der Eigentümer des Hauses, der Deutsche Orden, zeigt sich ehrlich überrascht und verweist aufs Denkmalamt, das im Rahmen der Fassadensanierung dazu ermuntert hätte, möglichst viele spätere Zutaten an der Fassade zu entfernen. Erst auf Nachfrage finden sich im Archiv des Ordens doch die Pläne zu diesem Geschäftslokal, das auch im Innenraum zu den besten seiner Zeit gehört. Über die Anordnung und Farbgebung der Glasplatten gab es zahlreiche Diskussionen mit dem Orden und dem Denkmalamt, es wurden 1:1-Modelle angebracht, es wurde eine Variante mit weißem Glas überlegt, bevor man sich schließlich doch – gemeinsam – für die kräftige bunte Variante entschied.

Ist das Denkmalamt vergesslich? Oder hat diese Entscheidung doch mit einem impliziten Qualitätsurteil zu tun? Oder schlicht mit Inkompetenz der zuständigen Beamten? Wohl eine Mischung von all dem, wobei ein zusätzlicher Aspekt zu berücksichtigen ist. Auf der Homepage des Bundesdenkmalamts wird explizit auf die neue Situation durch den seit 2003 bestehenden Welterbe-Status der Wiener Innenstadt verwiesen: „Um die strengen Richtlinien, die mit einer solchen Auszeichnung verbunden sind, einhalten zu können, musste die Unterschutzstellungstätigkeit in der Abteilung für Wien nachhaltig intensiviert werden.“ Diese Hyperaktivität darf aber nicht zu einer „Alles-weg-was-stört“-Strategie führen, der vorbildliche Beispiele für neues Bauen in alter Substanz zum Opfer fallen. Man wird nicht jedes Geschäftsportal unter Denkmalschutz stellen wollen. Im konkreten Fall hätten ein Minimum an Wissen über die jüngere Architektur und ein Blick ins Archiv ausgereicht, um eine Zerstörung zu verhindern.

Dass jüngere Architektur selbst dann, wenn sie bereits unter Denkmalschutz steht, in Wien einen schweren Stand hat, zeigen die aktuellen Vorgänge um die 1929 von Josef Frank und Oskar Wlach entworfene Villa Beer in der Wenzgasse. Anlässlich der Ausstellung über Josef Frank im Museum für angewandte Kunst wurde die Villa Beer erstmals seit Jahren wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und an einem einzigen Wochenende stürmten 2500 Besucher nach Hietzing, um an einer Führung durch das Haus teilzunehmen.

Das ist angesichts der Bedeutung des Hauses für die jüngere Architekturgeschichte kein Wunder: Die Villa Beer zählt zur selben Klasse von einzigartigen Wohnhäusern aus dem ersten Drittel des 20 Jahrhunderts, zu der auch die Villa Tugendhat in Brünn vonLudwig Mies van der Rohe, das Haus Müller in Prag von Adolf Loos und die Villa Savoye von Le Corbusier in Poissy gehören.

Noch 2007 hatte die Stadt Wien, vertreten durch den damaligen Planungsstadtrat Rudolf Schicker, angekündigt, das Haus kaufen zu wollen, wenn auch „nicht zu einem horrenden Preis“. Verkauft wurde tatsächlich, allerdings an einen privaten Investor, der zuerst 2008 einen Hausanteil erwarb und schließlich im Jahr 2012 den Rest ersteigerte und in Summe 2,8 Mio Euro für eine Wohnfläche von 600 Quadratmetern investierte. Bestandsfrei wurde die Villa dadurch nicht, da ein Erbe der Vorbesitzerin über seine Firma noch einen Mietvertrag für eine Wohneinheit hält. Diese Einheit ist eine von fünf, in die das Haus im Lauf der Zeit zerlegt worden war. Die anderen vier wurden wieder zu der ursprünglichen großen Wohnlandschaft zusammengelegt, in Franks Worten zu einem „Haus als Weg und Platz“, einem Wunderwerk an Raumabfolgen, von dem sich die 2500 Besucher überzeugen konnten.

Was der Eigentümer mit dem Haus vorhat, ist unklar. Einerseits erklärt er, mit MAK oder AzW über eine Kooperation sprechen zuwollen, um das Haus zu öffnen. Andererseits bietet er es für 5,5 Millionen Euro zum Verkauf an. Aktuell liegt ein Plan vor, einen Lift und eine zusätzliche Treppe einzubauen, um wieder drei Wohneinheiten errichten zu können. Die Raumfolge im oberen Wohngeschoßwäre damit dauerhaft zerstört. In Städten mit baukulturellem Bewusstsein gäbe es einen Aufschrei. In Wien hat das Denkmalamt dieser Zerstörung zugestimmt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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